6820077-1973_30_10.jpg
Digital In Arbeit

Eine Tourjstenattraktion?

Werbung
Werbung
Werbung

Sie sind aus der Suche, sie, das sind tausende junge Menschen, die Jahr für Jahr ins burgundische Taize pilgern. Im Grunde hat sie niemand gerufen, sie haben lediglich von Taize gehört, ein Freund hat zu einem Besuch geraten, es hat sie die Neugierde in diesen gottverlassenen, nicht einmal hundert Seelen zählenden Ort getrieben. Sie sind auf der Suche. Sie suchen Gott, sie suchen den Menschen und manche von ihnen finden Gott und die Menschen. Viele der jungen Menschen sind auf der Suche nach der Kirche von morgen, nach einer Gemeinschaft, die sie in ihrem alltäglichen Leben vermissen. Und so stehen die Tage, die sie in Taize zubringen — in der Regel wünschen die Mönche, daß jeder Teilnehmer eine Woche, diese jedoch ganz bleibt — zwischen der Meditation und der Diskussion.

Seit den Tagen der Gründung steht Taize zwischen den beiden Antipoden Hoffnung und Ablehnung. Dies gilt sowohl für die Tatsache, daß sich hier vor mehr als 30 Jahren zum ersten Mal seit der Reformation innerhalb einer vorerst evangelischen Gemeinschaft echtes monasti-sches Leben formierte, dies gilt aber auch für die innere und äußere Form, in der hier in zunehmend größeren Ausmaßen junge Menschen mit mehr oder minder großen Erwartungen zusammenströmen. Noch vor wenigen Jahren war Taize fast noch unbekannt, es gibt übrigens kaum Landkarten, auf denen der kleine Ort eingezeichnet ist. Nur zehn Kilometer von Taize entfernt liegt allerdings jenes Zentrum Burgunds, das die ganze christliche Welt kennt: Cluny. Nicht nur im räumlichen Zusammenhang lassen sich Parallelen mit diesem mitelalterli-chen Reformkloster ziehen. Bruder Rudolf, neben Kaplan Klaus Bäuerle (Diözess Rottenburg) das einzige deutschsprachige Mitglied der Kommunität, weist Vermutungen, die in Richtung einer Wiederaufnahme der Tradition von Cluny hinweisen, zurück. Er verschweigt allerdings nicht, daß erstmals seit dem Erlahmen des Geistes von Cluny in diesem Landstrich mit der Gründung der Kommunität wieder christlicher Geist eingezogen ist. Ansehen, Macht und Reichtum waren das Ende der Reformabtei von Cluny, dem in den Glanzzeiten bis zu 1200 Klöster, zum Teil mit nur wenigen Mönchen besetzte Prioriate, unterstanden. Bezeichnend für den geistigen Verfall war es, daß die Sprengung der Abteikirche im 19. Jahrhundert niemand zu Protesten veranlaßte. Der Geist war längst entschwunden, der Prachtbau, von dem nur noch wenige Ruinen übrigblieben, hatte keine Funktion mehr, als er nicht mehr existierte, ging er auch niemandem ab. Cluny starb am Reichtum und an der Selbstgefälligkeit seiner Mönche. Und hier besteht sehr wohl eine Anknüpfung der Mönchsgemeinschaft von Taize. Alle Mittel, die nicht unbedingt für die eigentlichen Aufgaben der Mönchsgemeinschaft benötigt werden, werden für Projekte der Dritten Welt zur Verfügung gestellt. Spenden und Zuwendungen nimmt Taize grundsätzlich nicht an. Allerdings werden die Aufgaben in der Dritten Welt, ein Teil der Kommunität ist hier engagiert, durch Visabeschränkungen durch mehrere lateinamerikanische Staaten behindert. Dies erklärte uns Bruder Rudolf, ohne allerdings nähere Angaben zu machen; wie übrigens die Brüder generell nicht gerne von sich und ihren Aufgaben sprechen. Auch bezüglich des Konzils der Jugend, das im kommenden Jahr eröffnet werden soll und auf den einzelnen Kontinenten im Verlauf mehrerer Jahre abgewickelt werden soll, sehen sich die Brüder von Taize nicht als die treibende Kraft. Motor und Animator sind hier — wie übrigens auch bei den Wochenkursen — junge Menschen selbst. Die Mönche verstehen sich nur als engagierte Mitarbeiter. Der Ausdruck „Konzil“ darf nicht mit einer Kirchenversammlung, etwa dem Zweiten Vatikanum verglichen werden, es handelt sich vielmehr um einen geistigen Prozeß, um eine dynamische Entwicklung, deren Richtung sich heute noch keineswegs abschätzen läßt.

Wohin steuert Taiz§? Mit dieser Frage wird der aufmerksame Beobachter der Vorgänge um die Kommunität zweifelsohne konfrontiert. Zunehmend fallen Nonnepgruppen und Touristen gleich Heuschrecken über die Zeltstadt am Rande des Dorfes Taize her. Die Gemeinschaft und auch die jungen Menschen, die dort ihren Wochenkurs absolvieren, sind in Gefahr, zu einer Touristenattraktion bu werden. Die Kurse wiederum laufen Gefahr, von jungen Menschen, die in Gruppen herangebracht werden, überrannt zu werden. Schließlich darf noch die Frage gestellt werden, in welcher Form und wie lange die Kommunität die Betreuung der zahlreichen Jugendlichen verkraften wird können.

Eine pneumatische Gemeinschaft ist immer in Gefahr, zur Attraktion, zum Aushängeschild zu werden. Eine Gemeinschaft ist immer in Gefahr, die eigentliche Aufgabe über anderen Verpflichtungen zu vergessen. Taize wird sich von diesen „Versuchungen“ nicht bewahren können. Doch nicht im Bewahren, sondern im Bewähren liegt die Chance.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung