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Folgen der Aufklärung

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Im Sommer 1981 erregte eine dreiteilige Rundfunksendung über die Rolle der Geheimbünde in Wissenschaft und Politik große Aufmerksamkeit Es handelte sich dabei um einen populären Auszug aus einer umfassenden Forschungsarbeit des Salzburger Rechts- und Sozialphilosophen Michael W. Fischer, die soeben erschienen ist.

Die historische Klammer der Arbeit ist die Reformationszeit einerseits und die Französische Revolution mit ihren Nachwirkungen bis in den Vormärz andererseits.

Schaltstelle und Vermittler des neu anfallenden wissenschaftlichen Wissens werden Geheimbünde. Zunächst treten die Rosenkreuzer ins Blickfeld. In umfassenden Analysen zeigt der Autor, daß diese den Strukturelementen des „neuen wissenschaftlichen Weltbildes” zum Durchbruch verhelfen.

Politisch wie auch historisch ist das Rosenkreuzertum die Wurzel der Freimaurerei. Von England nach Deutschland reimportiert, wächst die Freimaurerei zur politisch-praktischen Vorfeldorganisation der Aufklärung. In ihrer Aufsplitterung in die politisch konservativen Gold- und Rosenkreuzer und die „linksjakobinischen” Illuminaten wird die Freimaurerei zu einer wesentlichen Grundlage für die Entwicklung der politischen Parteien zu Anfang des 19. Jahrhunderts.

Auch der Utopismus des 18. Jahrhunderts wurzelt in dieser Bewegung. Die Bemühung, eine „rosenkreuzerische” Aufklärung in Gang zu setzen, reift in der Folge zum Epochenbegriff der Aufklärung. Nunmehr markiert sie den zentralen politischen Leitbegriff.

Doch gerade ihre Utopie der wissenschaftlichen Vernunft erweist sich in dem Maße als trügerisch, wie die Aufklärung stets kompensatorisch von ihrem Gegenteil begleitet wird: Insbesondere die Entwicklung der Geheimbünde zeigt, daß je lauter der Ruf nach der Ratio ertönt, desto tiefer die Einbruchstellen des Irrationalen werden.

Die Vielfalt der Aspekte der vorliegenden Arbeit macht eine Gesamtdarstellung in diesem Rahmen unmöglich. Als beispielhafte Facette sei der Abkoppe-lungsprozeß des Sturm und Dranges aus der Aufklärung herausgegriffen: Er „begann die leidenschaftliche Triebhatur, die die Aufklärung als tierisch gebrandmarkt hatte, in der Hoffnung auf eine neue Glückseligkeit zurückzuholen ... Der Räuber Karl Moor und der Träumer Werther denken an die Privatutopie der Sympathie und der Liebe des Herzens als natürlichen Endzweck des Menschen. Beide entfalten die zerstörerischen Kräfte ihrer Leidenschaft erst aus dem Scheitern dieses Endzwecks. Moor wird zum Anarchisten,... Werther wendet sich gegen sich selbst. Neu ist, daß sie ihre Utopie in der Empörung gegen Staat und Gesellschaft oder in depressiver Selbstzerstörung einklagen”.

Fischer zeigt, wie sich in den Bünden gerade die normativen, politischen Wissenschaften entwickeln. Er verfolgt das politische Vokabular wie „Aufklärung”, .JAecht”, „Naturrecht”, „Utopie”, „Freiheit”, „Gleichheit”, zeigt deren Bedeutungsänderungen auf, zeigt, wie die begrifflichen Apparaturen geschärft und zu organisierten Prinzipien für eine künftige politische Praxis werden.

Der Autor erhebt nicht den Anspruch, neue Quellen entdeckt zu haben, sondern weit Auseinanderliegendes zu einem neuen Verständnis der wissenschaftsgeschichtlichen Interpretation der Rechts- und Sozialwissenschaften verwertet zu haben.

DIE AUFKLÄRUNG UND IHR GEGENTEIL. Die Rolle der Geheimbünde in Wissenschaft und Politik. Von Michael W. Fischer. Verlag Duncker & Humblot, Berlin 1982. 348 Seiten, öS 896,90.

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