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Dauerbrenner Aufklärung

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Noch immer herrscht in den christlichen Kirchen Mißtrauen gegenüber der Aufklärung und ihrem einseitig rationalen Menschenbild - für dessen Abbau plädiert die Neuerscheinung.

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Noch immer herrscht in den christlichen Kirchen Mißtrauen gegenüber der Aufklärung und ihrem einseitig rationalen Menschenbild - für dessen Abbau plädiert die Neuerscheinung.

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Mit der Aufklärung ist es eine eigenartige Sache. Sie stellt sozusagen einen Dauerbrenner oder Evergreen auf der Ideenbühne der Gegenwart dar, ist aber freilich nicht unumstritten. Von „Gegenaufklärung“ über „Dialektik der Aufklärung“ (Horkheimer, Adorno), von „Aufklärung über die Aufklärer“ (Luhmann) bis zur Feststellung, es gäbe „Treue,zu ihr nur noch als Untreue“ (Sloter- dijk) reicht eine breitgefächerte

Palette von Deutungen, die sie nach wie vor ins Zwielicht rückt.

Dies gilt in besonderem Maße für das Verhältnis der Aufklärung zu den Kirchen, zum Christentum. Hier herrscht in weiten Kreisen immer noch die Auffassung vor, die emanzipative Grundrichtung aufklärerischen Denkens würde eine Selbstüberhebung, ja Selbstvergöttlichung des Menschen nach sich ziehen und der großen Tradition christlicher Wahrheiten entschieden widersprechen.

Der einseitige Rationalismus der Aufklärung habe ein flaches, oberflächliches und einseitiges Menschenbild zur Folge, mit gefährlichen politisch-gesellschaftlichen Konsequenzen wie der Französischen Revolution, und sei schließlich in Romantik, Restauration und im Idealismus des 19. Jahrhunderts wieder überwunden worden. Tiefer geht da schon der Vorwurf, die Allianz aufklärerischen Denkens mit dem wissenschaftlichen und technischen Fortschritt habe zu einer Entwicklung geführt, an deren Folgen wir gerade heute zu leiden beginnen: vom ökologischen Desaster bis zur eindimensionalen Fortschrittseuphorie und ihrem Machbarkeitswahn. Da bedarf es dann gar nicht mehr einer Analyse dieser aufklärerischen Vernunft als zynisch und sich selbst pervertierend.

Dies alles trägt nun keineswegs dazu bei, das mißtrauische Verhältnis der Kirchen gegenüber der Aufklärung abzubauen. Im Gegenteil: gerade in Österreich, wo dieser gegenseitige Mißtrauens- aber auch Durchdringungsprozeß vom Josephinismus an seine eigenartige, immer wieder am Barockkatholizismus sich reibende Geschichte hat, läßt sich dies bis in die Gegenwart hinein beobachten.

So gerne auch spätaufklärerische Philosophien das Vokabel „Toleranz“ im Munde führen, so sehr auch die Kirche sich ihrerseits um eine solche bemüht — es wird noch einiger Anstrengungen bedürfen, um in dieser Auseinandersetzung — man ist versucht zu sagen — „abklärend“ zu wirken. Einen Beitrag dazu hat sich das Buch „Die Aufklärung“ vorgenommen, das in der evangelisch orientierten Reihe „Gestalten der Kirchengeschichte“ erschienen ist, und nach einem Vorwort des Herausgebers Martin Greschat in 22 Kurzdarstellungen die großen Gestalten der Aufklärung von Hugo Grotius bis Heinrich Pestalozzi vorzustellen versucht.

Martin Greschat will, dann auch im Vorwort diesem Mißtrauen auf den Grund gehen. Seine Erklärung ist einfach: das entscheidende Defizit des traditionellen kirchlichen Umgangs mit dem „Gesamtphänomen der Aufklärung“ liege darin, daß sie primär als geistiges Phänomen erfaßt würde und die realen sozio-ökono- mischen und gesellschaftlichen Bedingungen ausgeblendet worden wären. Das mutet zunächst wie eine verspätete Pflichtübung im Geiste einer obsolet gewordenen 68er-Bewegung an und wird auch in der Folge wieder zurückgenommen, zumal dann eine Aufarbeitung dieses Phänomens „Aufklärung“ an Hand der Lebens- und Werkbeschreibungen von großen Einzelpersönlichkeiten nachfolgt.

Skizzenhaft arbeitet dann der Herausgeber den allgemeinen politischen, gesellschaftlichen und ideengeschichtlichen Zusammenhang heraus, in dem und aus dem sich die Aufklärung in ihrer keineswegs einheitlichen nationalen und zeitlichen Unterschiedenheit entwickelte. Angesichts der hier zutage tretenden Unterschiede könnte man sogar die Frage stellen, ob überhaupt von einer Gesamtbewegung „Aufklärung“ gesprochen werden könne. Greschat bejaht dies und verweist daher auf einige grundlegende Züge, die aber alle eine schrittweise Loslösung vom christlichen Menschenbild, vornehmlich vom Dogma der Sündhaftigkeit des Menschen beinhalten, also doch im wesentlichen einen Säkularisationsprozeß darstellen.

Aus dieser Grundhaltung wäre der aufklärerische Kampf gegen die Abhängigkeit des Menschen von einer übermenschlichen Macht ebenso zu begreifen wie die große Rolle, die Erziehung und Ethik im Denken der Aufklärung spielen. Die zunehmende, nicht zuletzt auch durch die Wissenschaften und ihre Entwicklung entstandene Grundhaltung der Rationalität in allen Lebens- und

Denkbereichen hatte ein neues Selbstverständnis des Menschen zur Folge, das sich vornehmlich gegen den Konfessionalismus richten mußte, ohne aber den Glauben schlechtweg aufzuheben. Anschließend werden Lebens- und Werkdarstellungen führender Köpfe der Aufklärung ohne allzu große Spezialisierungstendenzen dargestellt. Besonders fesselnd scheinen hier die Darstellungen von Hobbes (Höffe), Leibniz (Ratschow), Voltaire (Rėtat), Rousseau (Fetscher) und Kant (Scholtz), die wichtige Facetten des Prozesses „Aufklärung“ beleuchten. Daß sie sich keineswegs besonderer Breitenwirkung erfreute, ja diese nicht einmal immer intendiert war, beweist etwa ein Ausspruch Voltaires: „Wir haben niemals vorgegeben, Schuster und Dienstboten zu erleuchten; das ist die Aufgabe der Apostel.“

Der Band will das Mißtrauen, das das Gespräch zwischen Aufklärung und Kirchen immer noch erschwert, abbauen helfen und einen Dialog in Gang bringen beziehungsweise fortsetzen. Dies ist so gedacht, daß das „unaufhebbare Faktum“ der Rationalität als un- J sere geschichtliche Wirklichkeit nicht verteufelt wird, sondern deren Absolutheitsanspruch durch „rationale Alternativen im Lichte echter Menschlichkeit“ zurechtgerückt wird. Ein bißchen viel Rationalität und Vernunft, mag man einwenden. Aber was bleibt in unserer geschichtlichen Stunde wirklich an Alternativen, als die von Christentum und Aufklärung gleicherweise geforderte Menschlichkeit wirklich zu unserem Handlungsziel zu machen?

Der Autor ist Professor für Philosophie an der Universität Wien.

DIE AUFKLÄRUNG (in: Gestalten der Kirchengeschichte) von Martin Greschat (Hrsg.), Verlag Kohlhammer, Stuttgart-Ber- lin-Köln-Mainz, 1983. 398 Seiten, öS 653,60.

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