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Seit Jahr und Tag läuft bei uns die - bisher höchst fruchtlose - Diskussion um Kabelfernsehen, ORF-Monopol und „dritten Kanal“. Dabei sind sich die Diskutanten oft nicht einmal über die verwendeten Begriffe einig.

Die Politiker sehen im Kabelfernse­hen nur ein weiteres Mittel zur „Profi­lierung“, die Wirtschaft erhofft sich neue Werbemöglichkeiten. Nur der „Konsument“ wird gar nicht gefragt, ob er all dies wirklich will und braucht.

Das eine scheint sicher zu sein, daß der Fernseher vor allem Unterhaltung sucht. Die Informationsflut, auf die un­sere Rundfunkmacher so stolz sind, prallt an ihm so ziemlich resonanzlos ab, es sei denn, daß es sich um außerge­wöhnliche Sensationen handelt.

Was „der Konsument“ wirklich wünscht, was ihn wirklich interessiert, ist - trotz aller Besserwisserei der Kom­munikationswissenschaftler - der lo­kale Umkreis, das Geschehen in der en­geren oder weiteren Umgebung: der Lokalteil der Tageszeitung oder das Nachrichtenangebot der lokalen und regionalen Wochenblätter.

In diesem Sinn haben unsere Schwei­zer Nachbarn einen Pilot-Versuch un­ternommen, der dem Fernsehen den lo­kalen Bereich erschließen soll: Fernse­hen soll zum Nahsehen werden.

Die in der Schweiz derzeit geltende, mit 30. Juni 1981 befristete Kabelrund­funkverordnung erlaubt Versuche mit Programmen, die „zur Meinungsbil­dung über Fragen des lokalen Zusam­menlebens“ beitragen, das Verständnis für die Anliegen der Gemeinschaft för­dern und den Belangen des lokalen kul­turellen Lebens Rechnung tragen.

Auf Anregung der Stiftung „Dialog“

und der „Schweizer Staatsbürgerlichen Gesellschaft“ haben die Städte Wil, Zug und Solothurn beschlossen, vor­läufig für neun Monate Versuche mit einem Lokalfernsehen zu starten.

Wil begann im September 1980, Zug im Oktober und Solothurn folgt nun im Jänner 1981. Das Ziel aller Versuche, nach der umfangreichen Vorausinfor­mation: der Zugang zum Programm für jedermann, der in der Stadt wohnt oder arbeitet.

Die Organisation, zum Teil durch die Kabelrundfunkverordnung vorgezeich­net, zum Teil vom Züricher Medienspe­zialisten Franz Zölch erstellt, beruht auf drei Grundsäulen: der Träger­schaft, bestehend aus dem Stadtam­mann und Vertretern der Stiftung Dia­log / Staatsbürgerliche Gesellschaft, der Programmkommission, aus Vertre­tern der verschiedenen Gruppierungen, Kirchen, Parteien, lokalen Zeitungen, Vereinen usw. zusammengesetzt, und der ausführenden Programmleitung.

Das besondere dabei: Die Program­me sollen nicht von professionellen „Medienschaffenden“ von oben „ge­staltet“ werden, sondern durch die Mit­arbeit und das Mitmachen vieler entste­hen. Vor und hinter der Kamera, im Kleinststudio und am Regiepult sind, nach einer Meldung der „Neuen Zür­cher Zeitung“ unverkennbar Amateure am Werk.

Christoph Häne (26) und der ehema­lige Sekundarlehrer Lukas Zellweger (27), planen, produzieren und senden in Wil, zusammen mit den interessierten Bewohnern, die Beiträge des Lokal­fernsehens, ohne dabei selbst eine Bild­schirmtätigkeit zu entfalten. Die Quali­tät der Sendeinhalte wird weitgehend

davon abhängen, inwieweit sie ihre Me­dienerfahrung an die Interessenten wei­tergeben können.

Die Eröffnungssendung in Wil brachte neben der Aufforderung des Stadtammann Hans Wechsler zur Mit­arbeit Interviews mit den Passanten über das Lokalfernsehen, einen Film über ein Volksfest und eine Dokumen­tation über das Verkehrschaos in den Hauptstraßen.

Der bisherige Verlauf des Experi­mentes zeigt, daß Für das Lokal-Nah­sehen ein echtes Bedürfnis besteht: die Mitarbeit der Bevölkerung nimmt stän­dig zu.

Der finanzielle Aufwand für das Lo­kalfernsehen ist in Wil äußerst beschei­den: 78.000 Franken, allerdings vor al­lem deshalb, weil die Programmleiter ehrenamtlich arbeiten und die Firma Redifussion die Geräte und das Video­material beinahe kostenlos zur Verfü­gung stellt.

Der Mediensoziologe der Universi­tät Konstanz, Peter Hunziker, wird den Versuch wissenschaftlich untersuchen: „Die Untersuchung soll möglichst alle Aspekte des Versuches beobachten, analysieren und im Hinblick auf mögli­che Lokalfernsehprojekte, insbeson­dere ihre medienpolitischen Randbe­dingungen beurteilen“.

Im wesentlichen wird es darum ge­hen, abzuklären, wie sich das Nahsehen auf die vier Lokalblätter von Wil aus­wirkt, die sich vorsorglich damit einver­standen erklärten, in jeder Sendung ab­wechslungsweise einen Nachrichten­block von acht bis zehn Minuten Dauer zu gestalten. Die einen betrachten das Lokalfernsehen als Gefahr, die anderen als echte Herausforderung.

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