Marokko hat seinen fünfjährigen politischen Genesungsschlaf beendet. Der Ausnahmezustand, der von König Hassan II. 1965 als letztes Mittel zur Rettung des Landes vor dem wirtschaftlichen und politischen Chaos verhängt worden war, hat seinen Zweck erfüllt. Die wirtschaftliche Lage hat sich ausgeglichen und der Parteienhader ist verklungen. In einem vom König auf den 24. August festgesetzten Volksentscheid wird er seinem Volk die neue Verfassung demokratischen Zuschnitts unterbreiten. Sollte sie angenommen werden — worüber kaum Zweifel bestehen —, finden am 21. und 28. August allgemeine Wahlen statt. Die vom König und seinem Kabinett ausgearbeitete Verfassung bringt wenig Neuerungen. Ihre Ideologie und die demokratischen Freiheiten werden aus der vorhergehenden übernommen. Das Zweikammersystem, das sich in dem ersten, 18monatigen Versuch einer parlamentarischen Demokratie schlecht bewährte, wird durch das Einkammersystem ersetzt; außerdem ist eine engere Verbindung zwischen Parlament und Staatschef vorgesehen. Für die Linksopposition hat die neue Verfassung somit die gleichen Fehler wie ihre Vorgängerin, da sie nicht vom Volk, sondern von seinen Führern geschaffen wurde. Doch die Normalisierungsbestrebungen in Marokko enden nicht bei der neuen Verfassung. In einer großzügigen Geste gegenüber den marokkanischen Juden, die nach Israel ausgewandert sind, erlaubt ihnen der König die Rückkehr in die alte Heimat. In einem Interview, das er dem Direktor des „Nouvel Observateur“, Jean Daniel, gewährte, erklärte Hassan II., daß diejenigen Juden, die Heimweh verspürten, willkommen sind. Marokko, in dem vor wenigen Jahren noch 300.000 Juden lebten, verfügt heute noch über die größte jüdische Bevölkerung unter den arabischen Staaten, nämlich 40.000 Personen. Audi des Königs Bereitschaft, den Präsidenten des jüdischen Weltkongresses, Nahum Goldmann, in Rabat zu empfangen, unterstreicht eine Haltung, die als Initiative zu einer neuen Einstellung zum Judentum innerhalb der arabischen Welt ausgelegt wird.
