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Hemd & Pyjama

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Alles kommt wieder. Das Ringelspiel des Weltgeschehens und unserer damit verbundenen Privatexistenz kehrt stets aufs neue zum Ausgangspunkt zurück. Ewig klingt der Wechselgesang vom Vergehen und Wiedererstehen durch die Welt. „Und neues Leben blüht aus den Ruinen“ — heißt das zum Gemeinplatz ge-

wordene Zitat, das man meist dann anwendet, wenn eine ältere Dame ein Baby bekommt...

Besonders die Mode nimmt das Vorrecht für sich in Anspruch, das sonst nur für Gespenster reserviert ist, nämlich daß sie von ihrem Ableben keinen Gebrauch macht und unbekümmert um ihren Tod immer wieder erscheint.

So ist auch das patriarchalische Nachthemd von neuem aufgetaucht und droht, das nun schon jahrzehntelang auf der Walstatt unserer schlaflosen Nächte dominierende Pyjama zu verdrängen. Ärztliche Kapazitäten finden mit einem Male, daß der zweiteilige Schlafanzug den Blutkreislauf unterbindet und empfehlen den geruhsam ruhen wollenden Bürgern die wallende Nachthülle ihrer Ahnen.

Hygieniker und Romantiker ersehnen gleichermaßen das faltenreiche Nachtgewand zurück, auf dessen zierlich bestickten Kragen sich zu Schnitzlers Reigen-Zeiten blonde Spitzbiber herabsenkten, während es das einzige Problem vor dem Schlafengehen war, ob man den Vollbart über oder unter die Decke plazieren sollte.

Die Damen aber zogen kokette fliederfarbene Bändchen durch die Spitzenumrandung des Halsausschnittes, um Großväterchens Sinne völlig zu verwirren.

Vielleicht kehrt das heute wenigstens zahlenmäßig so starke schwache Geschlecht nun auch bei Tag wieder zu der Unterkleidung der Jahrhundertwende zurück, deren Kompliziertheit das weibliche Rätsel noch unlösbarer machte.

Mieder, Jupon, Leibchen, Unterröcke, Ösen, Fischbeine, Haf-

teln, Drucker, Bänder und Litzen waren oft unüberwindliche Hindernisse auf dem Weg zum Glück.

Wie viele wohlverwahrte Pforten, wieviel verbarrikadierte Vorhöfe mußten genommen werden, um endlich ins ersehnte Freie zu gelangen! Heute klinkt man nur eine unscheinbare Türe auf — und ist schon auf der Gasse ...

In dem frequentiertesten Modesalon der Kärntnerstraße, vor dessen Spiegelscheiben die Leute sich ansammeln, als hätten sie noch nie gesehen, wie man Kleider anprobiert, um sie dann schließlich doch nicht zu kaufen, kann man so recht erkennen, was die mondäne Dame der Gegenwart alles nicht anhat. Eine bessere, nur etwas verwöhnte Mottenfamilie würde daran verhungern.

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