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Ohne antike Fesseln

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Vom Ausland ziemlich unbeachtet, haben sich die Griechen, zwischen dem für sie eher unbefriedigenden europäischen Integrationsbescheid aus Brüssel und ihrer spektakulären Athener Balkankonferenz, für Südosteuropa und gegen das Abendland entschieden. Viel einschneidender und zukunftsweisender als der hellenische NATO-Austritt von 1974 hat jetzt die Abschaffung der vom klassischen Griechisch herrührenden Hoch- und Schriftsprache „Katharevoussa“ zugunsten der volkstümlichen, slawisch-balkanromanisch beeinflußten „Dimotiki“ zu Griechenlands Selbstverzicht auf den Führungs- und Ehrenplatz im Europa des Geistes geführt.

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Vom Ausland ziemlich unbeachtet, haben sich die Griechen, zwischen dem für sie eher unbefriedigenden europäischen Integrationsbescheid aus Brüssel und ihrer spektakulären Athener Balkankonferenz, für Südosteuropa und gegen das Abendland entschieden. Viel einschneidender und zukunftsweisender als der hellenische NATO-Austritt von 1974 hat jetzt die Abschaffung der vom klassischen Griechisch herrührenden Hoch- und Schriftsprache „Katharevoussa“ zugunsten der volkstümlichen, slawisch-balkanromanisch beeinflußten „Dimotiki“ zu Griechenlands Selbstverzicht auf den Führungs- und Ehrenplatz im Europa des Geistes geführt.

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Es blieb tragischerweise der konservativen Regierung Karamanlis vorbehalten, die seit den zwanziger Jahren von den Kommunisten geforderte Sprachreform, über deren Verwirklichung sogar noch vor einem Jahrzehnt das linksliberale Kabinett Georgios Papandreou zu Fall gekommen war, im Namen der Demokratie und des Fortschritts auszuposaunen, nachdem zuvor zwei ihrer Kulturminister die Unterschrift unter die Sprachgesetze verweigert hatten.

Die Auswirkungen der griechischen Sprachreform stellen bei weitem alles in den Schatten, was im deutischen Sprachraum von der einmal in den fünziger Jahren geplanten Einführung der Klein- und phonetischen Schreibung befürchtet worden und dann auch für die Unterlassung eines so radikalen Eingriffes entscheidend gewesen war. Nach ersten, vom Kasernen Jargon der griechischen Diktatur jähre 1967 bis 1974 erleichterten Ansätzen der neuen demokratischen Ära zur Vereinfachung des Amtsgriechisch und der Zeitungssprache, wird die „hel-leniki glossa“ jetzt in kürzester Zeit ungefähr jene lange Entwicklung zu durchbrausen haben, für die sich das

Italienische, aus der Latinität herkommend, mehr als ein Jahrtausend Zeit lassen durfte. Dabei geht auch die neugriechische „Dimotiki“ bis tief ins byzantinische Mittelalter zurück, galt aber immer als „unfein“ und hat nur in den Vagantendichtungen des zwiebelduftenden „Bet-telprodromos“ einen Zeitgenossen Bocaccios gefunden.

Besondere Probleme wirft die radikale Einführung der Dimotiki auf allen Gebieten für die griechisch-orthodoxe Kirche auf, die bisher auch in Liturgie, Verkündigung und Unterweisung am biblischen Griechisch festgehalten hat und in dieser sprachlichen Einheit nicht zu Unrecht ihre größte Stärke erblickte.

Politisch ist mit diesem Einschwenken der konservativen Republikaner in die bisherige „Volksfront der Volkssprachler“ von der äußersten Linken bis zur liberalen Mitte, der außerparlamentarischen Opposition der Royalisten, aber auch der „Ehemaligen“ aus den autoritären Jahren, neues Agitationsmaterial geliefert worden. Die Touristen freilich werden sich in Hellas mit der Sprachvereinfachung jetzt viel leichter zurechtfinden.

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