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Ohne Mandat

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An der Stirnseite des Saales in Prag-Vinohrady prangte auf tschechisch und deutsch die Parole „Alle unsere Kräfte für Frieden und Sozialismus!“— darunter saßen 118 Betagte, vornehmlich aus dem ehemaligen Sudetenland. Delegierte ohne Mandat aus den Reihen der Deutschen, die von der Zwangsemigration von 1945 verschont blieben, weil sie das richtige Parteibuch besaßen — und jetzt, wie aus den letzten Verhandlungen Bonn-Prag ersichtlich, in hellen Scharen doch das Land verlassen wollen. Das wäre ein Thema für die braven Mannen und Frauen gewesen, die sich einen — ohnehin arbeitsfreien — Samstag lang die Ergebenheitsadressen ihrer gleichfalls nicht gewählten Verbandsfunktionäre anhörten.

Bis 1970 hatten die Deutschen in der CSSR mit ihrem Kulturverband eben das verfolgt, was der Name sagt: das kulturelle Erbe deutscher Zunge, aufgeteilt in Musik-, Theater-, und vor allem Unterhaltungszirkel, in ihren schwindenden Gruppen zu stärken. Mutig hatten sie sich obendrein, längst von den Segnungen des Kommunismus kuriert, auf die Seite des freiheitlichen Sozialismus geschlagen. Die „Prager Volkszeitung“ war damals im Sturmschritt an die Spitze der lesbaren und reißend gekauften Blätter gelangt. Die Deutschen in der CSSR hatten sich zum erstenmal seit 1919 mit der Sache der Nichtdeutschen solidarisch gemacht.

Dieser Sündenfall wurde ihnen nicht verziehen. Hart und rigoros wurden vom ZK Verbandsfunktionäre und Redakteure gefeuert und durch Marionetten ersetzt, die doch angstvoll keine Gelegenheit versäumen, jene „rechtsopportunistischen und nationalistischen Kräfte“ nochmals wie den Teufel an die Wand zu malen. Das geschah auch jetzt, bei der Tagung in Prag, wieder ausführlich. Wer so gebannt ist von einer doch angeblich längst überwundenen Vergangenheit, gibt zu, daß sie im Herzen noch immer Gegenwart ist.

Im übrigen wurde ein Soll an Er-gebenheits- und Solidaritätsadressen erledigt, das selbst für tschechoslowakische Verhältnisse bedeutend ist: an das ZK, die „Nationale Front“ und nicht zuletzt an die DDR — letzteres durch die Einladung ihres offiziellen Vertreters, der natürlich auch zu Wort kam. Kein Wort dagegen, wie gesagt, wurde über den Stand der Gespräche verloren, von denen sich die meisten Bürger deutscher Nationalität die Heimkehr nach Deutschland — die Bundesrepublik natürlich — erhoffen.

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