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Raus aus Vietnam!

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Es ist ein seltsamer Fall mißverstandener Nostalgie. Denn die Schmierschriften an den Hörsaalwänden sind übertüncht, die Parolen der Demonstranten längst verklungen. Und auf einmal lebt der einstige Slogan wieder auf: „Raus aus Vietnam!“

Die ersten Tausend aus Vietnam wurden im deutschen Bundesland Niedersachsen aufgenommen, weitere Kontingente sollen folgen.

Welch ein Mißverständnis! Eine irrtümliche Spätzündung! Damals wollte man ja nicht die Einwohner, sondern die Amerikaner aus Vietnam entfernen. Man wollte dadurch Freiheit, Frieden und Gerechtigkeit für die Einwohner sichern. Man machte sich stark für den friedliebenden nordvietnamesischen Führer Ho Tschi Minh und rief seinen Namen immer wieder im Sprechchor. Die Intellektuellen, die Künstler, die Literaten, die Studenten wetteiferten skandierend: „Ho-, Ho-, Ho Tschi-minh!“

Und sie hatten Erfolg. Als der ÜS-Generalstab erfuhr, daß der deutsche Komponist Hans Werner Henze eine Vietkong-Flagge entfaltet hatte, ging er in sich und zog seine Truppen zurück.

Ami went home.

Damit waren Friede, Freiheit und Gerechtigkeit in beiden Teilen Vietnams gesichert. Die Parole hatte gewirkt, die Demonstranten konnten sich neuen Aktionen widmen.

Doch wieso holen jetzt westliche Staaten vietnamesische Bürger aus Vietnam heraus? Dort wurde ja mit Hilfe der westlichen Linken inzwischen der So-, So-, Sozialismus verwirklicht! Und westliche Staaten mischen sich in die inneren Verhältnisse einer friedliebenden Volksrepublik ein - nein, da wird es Zeit, einen neuen Sprechchor einzustudieren!

Der Name des neuen Ministerpräsidenten Pham Van Dong ist akustisch weniger geeignet, um gebrüllt zu werden, aber das darf keine Rolle spielen. „Zurück nach Vietnam mit den Eindringlingen!“ wird bald auf alle Wände geschmiert sein. Denn, so finden die alten Vietnamaktivisten, ihr Auftauchen im faschistoiden Westen ist eine unerträgliche Provokation und geeignet, die Entspannung in Südostasien zu gefährden ...

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