Zwischen Deutschen und Russen hat es in der ganzen Geschichte eine besondere Affinität gegeben. Sieht man einmal von den deutschen Greueltaten bei Hitlers Überfall auf Rußland zu Beginn und von den russischen Revanche-Greueln gegen Ende des Zweiten Weltkriegs ab, so hat es zwischen den Völkern selbst immer mehr gegenseitigen Respekt und geradezu schwärmerische Bewunderung gegeben als Feindschaft und Haß.
Nun hat die Sowjetunion ihre Rolle als osteuropäische Kolonialmacht ausgespielt, sie hat den Beginn einer weltweiten Abrüstung ebenso ermöglicht wie die Wiedervereinigung Deutschlands und damit den Grundstock gelegt für eine neue Friedensepoche in Europa.
Aber erst seit Michail Gorbatschow und Helmut Kohl dieses schwierigste politische Werk der Nachkriegszeit zu einem guten Ende gebracht haben, eröffnet sich nun die Möglichkeit, daß nicht nur die regierenden Politiker, sondern auch die Bürger beider Länder sich aktiv und konkret am Versöhnungswerk beteiligen.
Und wieder ist der berühmte, gefürchtete und vielfach literarisch verklärte russische Winter das tragende Thema dieses ersten breit angelegten Brük-kenschlags von Mensch zu Mensch. Diesmal bedroht er ähnlich wie in den Zeiten der deutschen Belagerung die eigene Bevölkerung in der Sowjetunion. Aber diesmal soll die deutsche Tüchtigkeit, Opferbereitschaft und Organisationskunst in entgegengesetzter Richtung mobilisiert werden: eine an Amerikas Nachkriegshilfe orientierte und bisher in Deutschland beispiellose Welle von Hilfsaktionen rollt an.
Es ist Helmut Kohl gewesen, den wir jahrelang als entscheidungsschwachen „Aussitzer" und schwerfälligen Langsamzünder verspottet haben, der am schnellsten richtig reagiert hat. Während Lafontaine im Wahlkampf noch mit dem Witz hausieren geht, Kohl erwähne den Namen seines Gegenkandidaten nur deshalb nicht, weil er ihn nicht aussprechen könne, hat Kohl mit seinem unglaublichen Riecher für Stimmungen im Volk erkannt: Die Deutschen wollen selbst was tun. Jetzt muß man die Bevölkerung aktiv einschalten!
Die Deutschen mögen Gorbatschow, sie wollen seinen Sturz verhindern und erst recht eine Gefährdung der frisch geschlossenen Freundschaft durch unkalkulierbares Chaos im Osten. Vor allem aber wollen sie selbst helfen: Packerl schicken, nicht nur Kredite der Regierung absegnen. Kohl hat den Ehrgeiz der Deutschen geweckt. Jetzt wird wettkampf-mäßig gespendet, mit deutscher Gründlichkeit organisiert und das hungernde russische Volk mit Care-Paketen bombardiert. Ob wir so erstmals den russischen Winter besiegen?