7075102-1993_15_10.jpg
Digital In Arbeit

Schokolade bei den Zuckmayers

Werbung
Werbung
Werbung

Carl Zuckmayer ist ein Mann von geselligem Naturell: Er freundet sich nicht nur mit den Leuten vom Ort an, trinkt mit den Henndorfer Bauern sein Bier und läßt Notleidenden zu Weihnachten und Ostern Geschenkpakete zustellen, sondern zieht vor allem auch eine Menge Künstlervolk an: Franz Theodor Csokor schreibt im „Blockhaus" - Kammersänger Richard Mayr, eine weitere Henndorfer Berühmtheit, hat seine ehemalige Jagdhütte von der Zifanken ins Tal transferieren lassen und der Wiesmühl als „Depen-dance" zur Verfügung gestellt - sein Drama „3. November 1918". Die Zuckmayers sind die ersten, die den Text, vom Autor vorgelesen, zu hören bekommen, und Zuckmayer senior, der gerade in Henndorf zu Besuch weilt, spendet hohes Lob: Nun endlich begreife er, was das alte Österreich gewesen sei.

Ödön von Horväth, der das Biedermeierzimmer im Bräugasthof bezieht, vollendet in Henndorf seinen Roman „Jugend ohne Gott". Und Johannes Freumbichler, der im benachbarten Seekirchen in ärmlichsten Verhältnissen und ohne jede Aussicht auf Veröffentlichung an seinem Romanwerk über das bäuerliche Leben der Region arbeitet, erlebt mit sechsundfünfzig das große Glück, über Vermittlung Carl Zuckmayers an einen Verlag zu gelangen, der seine „Philomena Ellenhub" druckt.

Der kleine Enkel, der ihn bei seinen Besuchen in der Wiesmühl begleitet und noch Jahrzehnte danach von der heißen Schokolade mit Schlagobers schwärmen wird, die ihm bei dieser Gelegenheit kredenzt wird, heißt Thomas Bernhard. Als er später selber den Schriftstellerberuf ergreift und 1963 sein Roman „Frost" erscheint, ist Zuckmayer unter den ersten, die den außerordentlichen Rang des fünfunddreißig Jahre jüngeren Kollegen erkennen...

Als Zuckmayer im Jänner 1977 an seinem Alterssitz im Schweizer Kanton Wallis stirbt, reist auch der Bürgermeister von Henndorf mit einer Abordnung zum Begräbnis nach Saas-Fee. Und ebenso die Stadtväter von Mainz und Nackenheim, Zuckmayers Geburtsheimat.

Die Kontakte zwischen Rheinhessen und Flachgau werden bei dieser Gelegenheit vertieft: Die Henndorfer nehmen einige Jahre darauf am Mainzer Karneval teil, und die Mainzer Zuckmayer-Gesellschaft kommt, zwei Autobusse stark, zum Gegenbesuch nach Henndorf.

Den Wunsch, die Wiesmühl zu erwerben und als Zuckmayer-Gedenkstätte der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, müssen sie sich freilich aus dem Kopf schlagen: Die neuen Besitzer haben Millionen in das durch Krieg und Nachkrieg lädierte Anwesen investiert, in der dem Haupthaus attachierten Jagdhütte werden mittlerweile Fremdenzimmer vermietet, und auch die Zuckmayer-Verehrer, die einen Blick ins einstige „Paradies" ihres Idols werfen wollen, werden nicht abgewiesen: Hausherrin Lilli Kwisda steht bereit, ihnen die „Stube" mit dem Stefan-Zweig-Ofen zu zeigen, Zuckmayers Arbeitsplatz, seine Schlafkammer (in der er, wenn ihm nacnts eine Idee kam, schreiben konnte, ohne seine Frau zu stören) und das Kinderzimmer, durch dessen Hintertür ihm in letzter Minute die Flucht vor den SA-Schergen gelang, damals im März 1938.

An die tausend sind es alljährlich, die sich ins heutige Gästebuch der Wiesmühl eintragen, und nicht wenige von ihnen sind Journalisten, die mit ihren Publikationen dazu beitragen, daß der Name Zuckmayer, in den Spielplänen der Theater unterdessen durch andere verdrängt, nicht zur Gänze in Vergessenheit gerät.

Einer dieser anderen ist Thomas Bernhard, und auch seine Biographie ist aufs engste mit Henndorf verknüpft. Immer größer also wird die Zahl derer, die bei ihrem Rundgang durch den 3.000-Seelen-Ort auch nach dem Geburtshaus von Thomas Bernhards Großvater Johannes Freumbichler fragen, nach Gut Ellenhub, das dessen bekanntestem Roman, der Bauernsaga „Philomena Ellenhub", den Namen gegeben hat, nach dem Grab des „Schmalzsepp", Thomas Bernhards Urgroßvater, der es als Lieferant des Wiener Naschmarkts zu Ansehen und Wohlstand gebracht hat, und vor allem nach dem Krämerladen der Rosina Schlager, unter deren Fittichen Großneffe Thomas in Kindertagen die Leidenschaft für den Kaufmannsberuf eingeimpft worden ist.

Hier, in dem heutigen Spargeschäft am Fuße des Kirchhügels, darf der fünfjähige Thomas, uneheliches Kind der Henndorfer Dienstmagd Herta Bernhard, nach Herzenslust mit Zuk-kerhüten und Petroleumlampen hantieren, in Schubladen wühlen, Flaschen zwischen Magazin und Laden hin und her schleppen und - als Höhe-punkt-bei kleineren Einkäufen sogar hinter die Budel treten und der „Frau Tant'" beim Bedienen der Kunden assistieren.

Das Milieu der ländlich-primitiven Gemischtwarenhandlung mit all ihren Geheimnissen, Gerüchen und Gepflogenheiten übt auf den Buben einen so starken Zauber aus, daß er in späteren Jahren, wenn sich die Frage der Berufswahl stellt, ernstlich daran denkt, ein Lebensmittelgeschäft aufzumachen, und die Trödierläden der

Gegend abklappert, um nach billigen Schubladenkästen und Regalen Ausschau zu halten.

Auch ein Besuch auf dem Henndorfer Friedhof lohnt sich: In einem der um die Kirche gruppierten Gräber ruht nicht nur jene Großtante Rosina, „Gastwirtin und Gemischtwarenhänd-lerin, zuletzt Private", sondern auch Thomas Bernhards Mutter - nun den Namenjenes Salzburger Friseurs Fabjan tragend, den sie in vorgerückten Jahren geheiratet hat. Thomas Bernhard ist neunzehn, als sie im Oktober 1950 stirbt: Nur fünfundvierzig Jahre sind der vom Schicksal schwer Gebeutelten gegönnt.

Und Thomas Bernhards leiblicher Vater? Alois Zuckerstätter heißt er, ist Tischler in Henndorf. Noch vor der Geburt seines Sohnes setzt er sich nach Deutschland ab, ist dem Alkohol verfallen, schläft mit einer brennenden Zigarette ein, stirbt jung. Thomas bekommt seinen Vater niemals zu Gesicht. Umso deutlichere Spuren hat der Großvater, Tischler wie dieser und gleichen Namens wie er, in Henndorf hinterlassen. Alois Zuckerstätter senior ist ein begnadeter Drechsler und Kunstschnitzer, Haustüren sind seine besondere Spezialität. Fünf von ihnen, über ganz Henndorf verstreut, haben sich erhalten: Bachstraße 1, Hoferstraße 7, Hauptstraße 26, Fen-ning 18, Mayrhauserweg 6. Braucht also nur noch ein gefinkelter Dorfchronist herauszufinden, daß er auch für die Wiesmühl einen Türstock gezimmert hat oder einen Fensterladen - dann schließt sich der Kreis.

Dietmar Grieser schreibt an einem neuen Buch, das unter dem Titel „Nachsommertraum" im Verlag N.Ö. Pressehaus erscheinen wird. Eines der 15 Kapitel wird Carl Zuckmayer und seiner österreichischen Wahlheimat Henndorf (1926-1938) gewidmet sein. Der vorstehende Text ist ein Auszug aus diesem Kapitel.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung