6804957-1972_01_15.jpg
Digital In Arbeit

Mein Schwiegervater

19451960198020002020

„Wenn es Carl Zuckmayer nicht gäbe, müßte man ihn erfinden.“ So schrieb, in größerem Zusammenhang, zum 60. Geburtstag ein bekannter, heute noch aktiver Doktor der Literaturwissenschaft. Als ich es las, dachte ich: Gut, daß ich weder diesen noch jenen persönlich kenne; man darf mit Schmöcken und Beschmockten keinen Kontakt haben. Zwei Jahre darauf war die Tochter Zuckmayers meine Frau.

19451960198020002020

„Wenn es Carl Zuckmayer nicht gäbe, müßte man ihn erfinden.“ So schrieb, in größerem Zusammenhang, zum 60. Geburtstag ein bekannter, heute noch aktiver Doktor der Literaturwissenschaft. Als ich es las, dachte ich: Gut, daß ich weder diesen noch jenen persönlich kenne; man darf mit Schmöcken und Beschmockten keinen Kontakt haben. Zwei Jahre darauf war die Tochter Zuckmayers meine Frau.

Werbung
Werbung
Werbung

Als ich den vielbeschriebenen Mann persönlich kennenlernte, war der dritte Sturm, den er auf dem Theater entfesselt hatte — „Des Teufels General“ —, soeben erst verrauscht. „Das kalte Licht“ hatte keinen gebrannt. Es folgten die Mißerfolge „Die Uhr schlägt Eins“ und „Tabor“. Hans Weigel gab seine schwarzgerahmte Todesanzeige heraus. Ich sah Zuckmayer fast einsam, jubiliert und abgefunden. Aber nach einigen Jahren erschien seine Selbstbiographie „Als wär's ein Stück von mir“, und das war der vierte Sturm. Ich habe dieses Wetter, das nach Jahren noch nicht verkeuchte, miterlebt, nicht ohne Zweifel an der Berechtigung des unerhörten Schauspiels: wie ein ganzes Volk sich um ein Buch reißt und-Tausende sich drängen, dem Autor persönlich zu danken.

Was ist das? Ein Phänomen.

Über Zuckmayer ist so viel geschrieben worden, daß man mit dem Papier eine Zeitlang drucken und mit den Honoraren eiri“e Kirche bauen könnte. Es ist wenig Nützliches darunter.

Seine Schwächen und Fehler sind schon am „Hauptmann von Köpenick“ und am „Fröhlichen Weinberg“ festgestellt worden. Von seinen Vorzügen ist außerhalb der Konjunktur, wo alles zum Geschwätz wird, wenig die Rede. Am meisten wurde über seine Person geschrieben; das Wenigste davon ist treffend.

Von all den Bildern und Metaphern, unter denen er immer wieder vorgeführt wird, ist nur die Flasche wahr. Zuckmayer und der Wein: das stimmt. Der „Wald- und Wiesenschwärmer“, der „Wandervogel“, der marschierend die Laute schlägt und singt, oder die Vorstellung, daß er in angeheiterter Gesellschaft, unter schallendem Gelächter, Witze erzählt — das alles ist Papier: Müßiggang derjenigen, die da schreiben, aber nicht sehen.

Wahr ist: Er hat sich die Hitler-Zeit nicht in Hollywood vertrieben, sondern sie als Farmer durchgebracht; er hat den Acker bebaut, Holz gehackt, Ziegen gemolken.

Wenn er — auch jetzt noch, mit halber Stimme — zur Gitarre singt, dann schweigen alle, innerlich bezwungen, denn etwas Besonderes kündet sich an. Selbst ein Nonsens wie die „Cognacvögel“ — ein endloses Lied — hat in seiner Lächerlichkeit etwas Schauerliches. Noch viel eindrucksvoller ist sein ausgebildetes, rheinhessisch gefärbtes Organ ohne Musik. Seine klangvolle Stimme dämpft ein klirrendes Rauschen, sie klingt „geistlich“, orato-risch — und er singt das blutrünstige Lied vom Schinderhannes. Ich habe Zuckmayer einmal, mit dem geringsten Aufwand, den „Hauptmann von Köpenick“ vorlesen gehört. Da sah ich in der kleinsten Szene und im geringsten Detail, was die Bühne so oft nicht vermag; aber auch ein solcher .Vortragskünstler ist selten.

Neulich ergab es sich im Tischgespräch, daß er uns die kleinste Szene im „Schinderhannes“ aus dem Gedächtnis vor Augen stellte. Sie ist unansehnlich wie das Beste. Ihr Gegenstand nichts Geringeres als eine unausgesprochene Verlobung. Der Räuber sitzt mit seinem Kumpan am Ufer eines Bächleins. Sie baden ihre Füße im Wasser. Zwei Mädchen kommen gegangen. Wenige Worte werden gewechselt. Die Mädchen gehen weiter. „Die Luft ist mit Wein und mit Flieder gewürzt.“ Still ist es, man hört die Herzen schlagen. Zuckmayer ist ein großer Miniaturist.

Mein Schwiegervater ist kein Weiterschütterer, kein Mann der kritischen Analyse, kein Witzereißer, kein Spötter. Er leidet auch nicht an dem bekannten Zwang, jederzeit einen Aphorismus, ein Epigramm, einen Sarkasmus, eine Zote ausspucken zu müssen. Das „Diesbezügliche“ ist ihm so fremd wie das Anzügliche und die Polemik. Er ist aber auch nicht „gemütlich“.

Seine Weltanschauung ist wenn nicht ein blutwarmer, so doch ein eiskalter Optimismus. Sein Christentum Katholizismus. Sein Künstlertüm ist ein Animalismus. Das heißt: hier ist etwas wie die Formel „Der Geist als Widersacher der Seele“ wirksam, moderiert durch humanistische Studien. Wer es versäumt hat, kann bei ihm das Gymnasium nachholen, Botanik und Zoologie studieren.

Der Prediger Salomo fällt mir ein: „Es lebt der Mensch wie das Vieh, und wie das Vieh stirbt, so stirbt er auch.“ Zuckmayer formuliert das anders; er bekränzt das Opfer. Die „sauren Wochen“, die er kennt, und die Ordnung, die er hält, haben die Bestimmung, durch ein Fest gekrönt zu werden. „Das Lebensfest krönt die Lebensarbeit.“ Das ist seine Weisheit.

In dieser seiner Weisheit hat ihn im Sommer 1967 ein Adler heimgesucht. Karl Barth erschien bei ihm mit seiner gewaltigen Dogmatik. Er hatte Zuckmayers Lebenserinnerungen gelesen und war von einer niegesehenen Erscheinung gefesselt. Er hatte das Gefühl, etwas versäumt zu haben. Der Wunsch, die Quelle einer großen und doch nicht einfach abzufertigenden Wirkung zu sehen, sowie die Absicht, mit dem Dichter über dessen Gottesbegriff zu streiten, haben zu einem Freundschaftsbund geführt, reich an gegenseitigen Kundgebungen mannigfacher Art bis zum Tod des großen Kirchenlehrers und Kämpfers.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung