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Zuckmayers Atom-Stuck

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„Das kalte Licht“ Karl Zuckmayers ist auf seiner Wanderung über die Bühnen de.s deutschen Sprach-laumes nun, am Aschermittwoch 1956, im Wiener Burgtheater angelangt. Vielleicht war die Ascher-mittwochstimmung hier Schuld daran, daß diesem „Kalten Licht“, über dessen Inhalt die „Furche“ anläßlich der Hamburger Aufführung ausführlich berichtete (17. September 1955), eine allzu kalte Aufnahme bereitet wurde. Diese erscheint uns ungerecht, nicht nur, weil die Wiener Aufführung nach dem Urteil von klugen Köpfen, die etwa die Hamburger und Münchner Aufführung sahen, die beste sein mag. Gewiß, das haben die Spatzen der Literatur schon lange von den Dächern gepfiffen (etwas schadenfroh und allzu begierig, dem alten Theaterlöwen Zuckmayer eins auswischen zu können): dieses Atom-Stück, klug, geschickt zusammengesetzt, wobei jeder Griff, Wort und Szene lang überlegt sind, atmet nicht den wannen, glühenden Atem des jungen und jugendlichen Carl Zuckmayer, der ein Bänkelsänger der Freiheit und eines freien Lebens war. Hier und heute herrscht das Intellektuelle, die kalte, ruhige Ueberlegung — was übrigens gar nicht schlecht zum Klima der modernen Forschung und Naturwissenschaft paßt. Das Erlahmen der Gefühlsmacht, die Zerteilung der Sphären im Menschen, hier ein Reservat für das Emotionale, dort das Mammutreich überanstrengter Gehirntätigkeit: warum soll von dieser Struktur vieler unserer Zeitgenossen nicht ein Scheinwerferlicht auf ein Stück fallen, dessen „Held“ Kristof Wolters der Natur nachgezeichnet wurde? Der Natur, und, wenn man will, Unnatur des jungen deutschen Kernphysikers Claus Fuchs, der zum Verräter am Atomgeheimnis wurde, weil er seine innere Spaltung nicht ertragen konnte. Und deshalb nicht die Geduld aufbrachte, die äußere Spaltung der heutigen Welt in zwei Hemisphären zu ertragen, und, kurzschließend, der Sowjetunion wichtigste Berechnungen übergab, weil er meinte, dergestalt das Weltgleichgewicht herstellen zu können, jenes Gleichgewicht, das er in der eigenen Brust nicht fand.

Zuckmayers Atomverräter ist lange nicht so schizophren wie Claus Fuchs, er ist ein weicherer Typ (sehr gut Walter Reyer), so daß es dem Kontaktmann der Sowjets (Hanns Ernst Jäger) keine allzu großen Schwierigkeiten macht, ihn zum Osten überzuführen, und, zum anderen, es dem klugen Vertreter des englischen Sicherheitsdienstes (Attila Hörbiger, sehr eindrucksvoll!) nicht allzu schwer wird, durch zartes Tasten auf seinem Seelenklavier sein Schuldbewußtsein zu wecken und ihn in die Arme zunächst der irdischen Gerechtigkeit (vielleicht zehn Jahre Kerker) und dann, später, der wartenden großen Freundin rückzuführen. Diese wartende Dame (Judith Holzmeister) ist rollenmäßig eine recht unglückliche Figur. Mit ihr zieht der Kitsch, leider besonders stark in den Schlußszenen, fast alles überrennend, auf der Bühne ein.

Dennoch, trotz allem: hier wird ein sehenswertes Stück auf die Bühne gebracht, das zum Mitdenken und Nachdenken anregt. Zuckmayer besitzt, was ganz wenigen deutschen Bühnenautoren, von den Dichtern ganz zu schweigen, nachgesagt werden kann: ein echtes politisches Ethos, einen politischen Charakter. Das ist nämlich etwas anderes als die angeklebten „zeitnahen“ politisierenden Traktate, ein anderes auch als die Lyrismen und Pathetiken, die Romantismen und Klassizismen, die sich heute wieder breitmachen und nichts anderes sind als geschickte Fluchten vor der Verantwortung, oder, wie nicht selten, überhebliche Dichtereien. Der alte Zuckmayer bekennt sich zum Hic Rhodus, hic salta: hier, deutscher Dichter, springe, rede, schreibe. Nimm Stellung, nimm Verantwortung auf dich. In diesem Sinne möchten wir immer noch gerne ein, zwei Dutzend unserer jüngeren Autoren bei dem alten Löwen in die Schule schicken, der in der Szene um den alten, sterbenden Juden Friedländer (Helmut Krauß) ergreifend wirkt. Das ist nicht nur Pranke und „Pratzen“ des Routiniers, sondern Humanität. Humanität, klipp und klar auf den Brettern. Wenn man von dieser Szene her das ganze Stück aufrollt, dann wird man nicht nur einzelne sehr plastische Rollen, wie die der Führer der amerikanischen und englischen Atomforschung, Nikolas Löwenschild und Sir Elwin Ketterick, finden (beide leider nicht ideal besetzt, letzterer zu grob und polternd durch Paul Hartmann, ersterer zu weich, zu sentimental, als Evangelimann, durch Felix Steinbock), sondern eine ganze Reihe von Themen und Thesen, über die sich diskutieren läßt. Ein Stück, und nicht nur ein Zeitstück, ist ja, vergessen wir das doch nicht ganz, nicht nur dazu da, um uns zu ^.gefallen“ und zu mißfallen, sondern, um nachher diskutiert zu werden. Dazu gibt Zuckmayers „Kaltes Licht“ Anlaß genug.

Gielens Regie und die vorzügliche Bühneneinrichtung (Lois Egg und Sepp Nordegg) erweisen einmal mehr die glänzende technische Ausrüstung und Eignung der neuen Burgtheaterbühne.

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