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Das „kalte Licht“ verbrennt die Menschen

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Hamburg, Anfang September Carl Zuckmayer hat stets zur rechten Zeit die rechten Stücke geschrieben. Denken wir an den „Hauptmann von Köpenick“, an „Des Teufels General“ oder an den „Gesang im Feuerofen“ ... Sein neueste Werk ist ein Drama um das Problem der Verwertung der Atomenergie. Den . eigentlichen Fragen, die sich aus dem Stoff ergeben, wich er jedoch aus. Sein Held ist ein junger deutscher Physiker, der aus Hitler-Deutschland nach England emigriert war, dort interniert und nach Kanada verschifft wurde und sich aus Enttäuschung über diese Behandlung dem Spionagedienst der Sowjets verschreibt. Sein Name ist Kristof Wolters, Kristof mit „K“: er hat die Orthographie geändert, um sich „von der Erlösersymbolik zu reinigen“. Er ist ein Mensch, der vorgibt, weder Land noch Seele zu haben. Selbstverständlich siegt das Recht: der Verrat wird entdeckt. Wolters muß zugeben, daß er sein Leben lang im Strahl des „kalten Lichtes“ gestanden hat. „Aber ein Augenblick kann wie ein Feuer sein, in dem sich alles verwandelt.“

Dieses „kalte Licht“ hat nicht nur symbolhafte Bedeutung. Zuckmayer zitiert zu seiner Erklärung atl“'dem' Lehrbuch der Kernphysik: „Als .kälte Licht' bezeichnet man eine Leuchterscheinung, bei der weder Erwärmung noch Verbrennung stattfindet.“

Die Sache selbst ist also gut und richtig. „Verrat“ ist auch außerhalb der Atomproblematik ein negatives Faktum. So hat denn Wolters im Grunde keine Gegenspieler; daß sein Handeln verdammenswert ist, steht ungeachtet mildernder Umstände für jeden außer Frage. Lediglich in einer Szene entwickelt sich am eigentlichen Objekt ein echter dramatischer Gegensatz, und zwar zwischen Sir Elwin Ketterick, dem Leiter eines britischen Geheimlaboratoriums für Atomforschung, und Nikolas Löwenschild, dem Direktor eines wissenschaftlichen Instituts in der „Atomstadt“ Las Megas, New Mexico. Sir Ketterick ist ein hartgesottener „Tory“, Nationalist aus innerer Unsicherheit und nur der Gewalt ergeben; Löwenschild dagegen warnt aus humaner Gesinnung und echtem Verantwortungsbewußtsein vor der Anwendung der neuen Waffe. Indessen — der Konflikt wird nicht ausgetragen. Dafür fällt eine Bombe auf Hiroshima.

Die Szenen, in denen Kristof Wolter auftritt, sind — von einer behutsamen und überzeugend eingefügten Liebesgeschichte abgesehen — rein dialektisch. Gut gemeinte Rhetorik beherrscht auf weite Strecken das Feld. Das ist — mit den physikalischen Geräten im Hintergrund — zuviel der Kühle. Unvermittelt flattern dann Metaphern aus dem Munde von Leuten, denen man sie vielleicht nicht zutraut. Die Reden stehen hart im Räume ...

Zuckmayer it der, den wir kennen und lieben, wenn er eine Figur erfindet wie den „kleinen Fried-länder“, einen herumgestoßenen luden, der, nach seinen eigenen Worten, nicht umzubringen ist und doch chon im Sterben liegt, der eine „homöopathische Philosophie“ entwickelt und den Wert der „Milligramme der Freiheit“ schätzen gelernt hat. Da kommt noch alles aus dem Herzen; der „Gesang im Feuerofen“ scheint dem Dichter näher zu ein als die Atomvernichtung. Die Menschen in ihrem Umkreis haben nicht das Leben, das wir von Zuckmayer erwarten. Es reicht nicht aus, über den Isenheimer Altar und das „Lento assai“ aus op. 135 von Beethoven zu meditieren.

Gustaf Gründgens hat einige Szenen und Dialoge gestrichen, in denen sich Zuckmayer auch heute noch als der etwas robuste Volksdichter ausweist. Seine Inszenierung war gerade auf das gegenteilige Moment bedacht; der gedankliche Kern sollte so klar und deutlich konturiert wie nur möglich erstehen. Da ergab einige Ueberschärfen, in deren Licht die Aussage Zuckmayers stellenweise zu matt erschien. Zwar rechtfertigt das ernste Problem einen auf alles Füllwerk verzichtenden, nahezu asketischen Aufführungsstil, aber dem Dichter selbst wäre vielleicht mit einer um einige Grade farbigeren Inszenierung — selbst auf Kosten der Vergeistigung —, besser gedient. Letzten Endes ist er einer der wenigen, die in unserer mit Abstraktionen übersäten Literaturepoche Atmosphäre zu verbreiten wissen. — Daß die Aufführung von der Konzeption her aus einem Guß war, versteht ich fast von selbst. Die Bühnenbilder Karl Grönings entsprachen den Intentionen des Hausherrn. — Begeisterte Zustimmung brandete dem Dichter und einen Interpreten nach dem letzten Vorhang entgegen.

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