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„Des Teufels General“

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Wie das kurze Vorwort besagt, widmete Zuckmayer den ersten Entwurf dieses Stückes * im Jahre 1942 „Dem unbekannten

Kämpfer“, 1945 widmet er es ,.Dem Andenken meiner von Deutschlands Henkern aufgehängten Freunde Theodor Haubach, Wilhelm Leuschner, Graf Helmut von Moltke.“ Dies Vorwort zu kennen, ist für die Beurteilung des ganzen Werkes bedeutsam. Um es vorweg zu nehmen: Zuckmayers neues Drama, das vom Burgtheater zur Aufführung vorbereitet wird — ängstlich fragen wir nur: wo wird die Burg die Schauspieler hernehmen, um diese Gestalten zu „spielen“, nein, zu neuem Leben auferstehen zu lassen? — ist das erste uns bekannte Stück, das in gespenstischer Wachheit und in monumentaler Größe Schuld. Tragik und Untergang einer Führungsschicht des Dritten Reiches darstellt. —

Obwohl Zuckmayer betont, daß die Handlung erfunden „und, wie ihre Träger, nur zum Teil durch tatsädiliche Ereignisse und lebende — oder tote — Personen angeregt ist“, läßt sich im Protagonisten des Stücks, im Fliegergeneral Harras unschwer Ernst U d e t erkennen, der in Wirklichkeit und im Stück durch Selbstmord endende berühmte Flieger zweier Welten ... Die Handlung spielt in Berlin im Herbst 1941, kurz vor dem Eintritt Amerikas in den Krieg. Ihr äußerer Verlauf behandelt die letzten Tage des Generals und die Aktionen seiner Gegner, der Partei, der Gestapo und SS bis zu seinem Tode. Makart und der Höllen-Breughel. Goya (Los desastres de la guerra) und Picasso (Bombardement von Guernica) vereinigt Zuckmayer auf seiner Palette: Zwischen tollen Gelagen, verzechten Nichten, in Rausch und Liebelei versponnenen Stunden, umgeben von Bonzen der Rüstungsindustrie, von Kampffliegern. Schauspielerinnen, Spionen und guten Kameraden, spielt Harras das wüste Spiel seines Lebens in Rausch, Narrheit, Intrige und Gemeinheit, die ihn von allep Seiten umspülen, immer wacher, immer sehender werdend, zielbewußt einem reinen Ausklang zu: Von allen Seiten von Gestapo und SS umstellt, steigt er noch einmal, das lctztemal, in die Lüfte, um zu sterben. Während die Maschine

„abschmiert“, beten sein Ingenieur und sein letzter Freund, ein junger Fliegerleutnant, leise das Vaterunser ...

So erschütternd auch Leben und Ende des von Zuckmayer mit tiefer Sympathie geschilderten Fliegergenerals wirken — der Hauptton und wahrhaft dokumentarische Wert dieses Werks liegt auf dem Kolossalgemälde der „führenden Gesellschaft“ des „Dritten Reiches“. Und hier zeigt sich Zuckmayer als wirklicher Dichter — er verdichtet zahllose Züge, Einzelzüge, Farben und Gegenfarben zu einem Bild einzigartiger Objektivität, das gerade deshalb grausig-erregend wirkt —, es ist das Grauen der Wirklichkeit, das uns anweht im Auftreten, in den Reden: Gebärden, Haltungen dieser Gestalten.' Dieser eiskalte „Kulturleiter“ im Propagandaministerium und Hauptagent der Gestapo Dr. Schmitz-Lausitz ist nicht ein Bühnenbösewicht, sondern ein in vielen Generationen seelischer Fehlzucht gereifter Typus, dessen fanatischer Glaube an seine „Idee“ ihn zum geprägten Vertreter jener Gegenwelt gegen alles das, was Harras als menschlich, lebens- und liebenswert empfindet, prädestiniert. Selbst sein letzter Handlanger, der Kellner Detlev, und seine vornehmste' — unbewußte — Partnerin im großen Spiel gegen den General, Waltraut von Mohruhgen. genannt Pützchen, sind keine Theaterschurken, sondern

Menschen auf der Bühne ihres Lebens — dem Bösen verfallen, von Geld- und Machtgier, von Wollust und Eitelkeit verzehrt, aber immer noch Menschen, ganze Menschen. Die Schwester Waltrauts, Anne Eilers, die Gattin eines Hiegerobersten und Freundes des Generals ist eine feine und großartige Frau, ebenso wie die Operettendiva Olivia Geiß und deren Nichte Diddo; der Vater Pützchens und Annes. „Präsident des Beschaffungsamtes für Rohmetalle“, ist ein jovialer süddeutscher Edelmann und Indu-stricherr, im Innersteh Gegner Hitlers, in der Stunde der Gefahr aber schlägt er sich auf die Seite der Partei gegen den General. Eine Fülle von Einzelschicksalen und Episoden, brennscharf gezeichnet mit einer bestechenden Kenntnis des Milieus — dient Zuckmayer zur Kolorierung, zur Aufzeigung jenes Sachverhalts, den die vor kurzem in der Schweiz erschienenen Tagebücher Ullrich von Hassels in erschütternder Weise aufgezeigt haben. Hassel, bis 1937 dejtscher Botschafter in Rom, von 1938 bis 1944 (bis zu seiner Hinrichtung) einer der geistigen Führer der Widerstandsbewegung gegen Hitler im Kreise Moltkes, Becks und Goer-delers, erbringt hier den Beweis für die Schuld jener deutschen Führungsschicht, welche zumindest seit 1938 den Weg ins Verderben einsah und sich in tausend Gelagen. Fünf-Uhr-Tees, Tischgesprächen und Konferenzen auch offen über die Notwendigkeit eines Eingreifens aussprach, im entscheidenden Augenblick aber immer wieder zurückwich. Zu dieser Führungsgruppe gehört auch General Harras: Gegner der Partei, Hitlers und Himmlers und ihres Terrorregimes von Anfang an, hat er doch — weil er wieder Flieger sein wollte

— dem Teufel seine Hand gegeben und kann sie nun, wie er selbst sagt, erst im Tode Gott reichen. Zuviel Schuld hat er selbst auf sich geladen, der Krieg und der Tod vieler ist sein mittelbares und unmittelbares Werk, einige „Gewissensjuden“, die er aus dem KZ befreit hat, entlasten nun in der Stunde der Entscheidung sein Gewissen nicht. Harras stirbt. Seinen Glauben an ein ewiges Recht an Gott, errungen erst im Angesicht des Todes, vererbt er jedoch seinen Erben: dem Ingenieur Oderbruch und dem Leutnant Hartmann — und allen jenen, welche rein geblieben sind im Morast, in der ungeheuerlichen Korruption der Leiber und der Seelen. Dies ist nämlich das Erstaunliche in diesem Drama des Sdireckens, der Gewalt, der Unzucht: mitten in dieser Welt von Verbrechern und Gewalttätigen, von eitelschwachen und selbstsüchtigen Männern und gierigen, lebenshungrigen Frauen leben reine Menschen: der Oberst Eilers und seine Frau Anne, der junge Leutnant Hartmann, Oderbruch der Ingenieur, und Diddo, ein junges Mäddien ... Das Gewicht ihrer Güte, ihrer Reinheit, ihrer sittlichen Kraft zieht schließlich.auch Harras, den General, zu sich.

Von der Haltung und Vermehrung dieser Substanz wird das künftige Schicksal Deutschlands abhängen. Ist es nötig, zu sagen, daß dieses Drama des Rheinländers Zuckmayer, das Deutschland in seiner tiefsten Erniedrigung zeigt, das Denkmal einer großen Liebe zu eben diesem Lande ist? Der Dichter legt das Bekenntnis dieser seiner Liebe dem amerikanischen Journalisten Buddy LawYence in den Mund, er selbst verhüllt in Scham und Gram sein Haupt. Das geistige Schicksal der Völker hängt davon ab, ob ihre Vertreter, wenn die Stunde schlägt, mit Anstand und Mut zu . reden

— und mit Anstand und Mut zu schweigen wissen. Dann hat ihr Wort für die Größe der Toten, ihr Schweigen für die Schande der Lebenden zu stehen.

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