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„Zuckmayer, der Österreicher”

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Die noble „Festschrift für Carl Zuckmayer”, welche die Stadt Mainz und die CarLZuckmayer-Ge- sellschaft herausgegeben haben (Verlag Hanns Krach, Mainz), wurde zum Epitaph. Janko Musu- lin schrieb darin einen klugen Beitrag „Zuckmayer, der Österreicher”, dem wir die folgenden Zeilen entnehmen:

Was bei Zuckmayers Prosa auffällt, ist zunächst die Dialektik zwischen einer barocken Phantasie, wie sie etwa in der ,^astnachts- beichte” noch einmal großartig aufleuchtet, und einer klaren, keinesfalls barock berauschten, sich den Fakten eng anlegenden Sprache, die eher an den nüchtern-zarten Grillparzer gemahnt (wer hätte bei dem Bericht über die beiden Musikanten nicht an die großartige Erzählung vom ,Armen Spielmann” gedacht, der geigend durch Wien zog), als an den entflammten Kleist. Zuckmayer, um aus der erwähnten Erzählung zu zitieren, „ein leidenschaftlicher Liebhaber der Menschen, vorzüglich des Volkes”, hat es wie kein anderer verstanden, dem Volk aufs Maul zu schauen, eingeübt durch die Erinnerung an die Dienstmädchen im Elternhaus — „ihr langgezogener, trauriger oder auch kecker, übermütiger Gesang, den man ironisch nachahmte und von dem man doch die echten Volkslieder kennemlemte — die gleichen wohl, die Georg Büchner in seiner Jugend gehört hatte —, ihre herberen, bildstärkeren Dialekte, denn die meisten kamen ja aus kleinen Dörfern im Odenwald oder aus dem Taunus…”—und mit einem musikalischen Ohr ausgestattet, dem keine Nuance entging, hat er seiner Sprache durch diese Beziehung Würze und Kraft verliehen — eine Bemerkung, die sich keinesfalls allein auf jene Stücke bezieht, in denen das Mundartliche eine Rolle spielt. Hält man sich vor Augen, daß die meisten deutschen Dichter jener Zeit dem Dialekt viel distanzierter gegenübergestanden sind — man denke etwa an Thomas Mann —, daß aber in Österreich diese Verbindung nie ganz abgerissen ist (in unseren Tagen hat H. C. Artmann aus dem „Wienerischen” eine neue Kunstform geschaffen), so wird man eine Parallelität der Entwick lung, eine Hinneigung zum österreichischen, zum ,Armen Spielmann” nicht ausschließen wollen.

Doch wichtiger als das Sprachliche scheint das Inhaltliche, die Wahl von Themen und Motiven. Hier könnte man das Leben des Dichters in zwei Phasen teilen: In der ersten fühlt er sich als Rebell, verkörpert er den Protest der Frontgeneration, die sich belogen und betrogen fühlt und dem Ausdruck verleihen wollte, so laut, so unruhig, so schreiend, wie es nur möglich war. Dieses Gefühl kam am deutlichsten in der Kieler Theaterzeit zum Ausdruck, die mit der Aufführung des Spieles „Der Eunuch” nach Terenz ihr Ende fand, am reifsten, gebändigtsten im „Hauptmann von Köpenick”. Die Aufführung in Kiel muß ein großartiges Spektakel gewesen sein: Ein ruhmreicher Feldherr, der alle Schlachten verlor außer der auf der Matratze, und sein schlauer Parasit traten in der Maske von Hinden- burg und Ludendorff auf, sprachen auch so — und wer dadurch noch nicht ganz schockiert war, konnte sich über eine Schauspielerin erregen, die als Sklavin der Thais nackt über die Bühne geführt wurde. Zuckmayer und andere wurden „wegen Aufsässigkeit, Unbotmäßigkeit und völliger künstlerischer Unfähigkeit” fristlos entlassen. Liest man heute die Texte jener Tage, so findet man viel Rabaukenhaftes, Ungebärdigesj Überzeich- netes — aber da und dort entdeckt man auch Poetisches, überraschend Zartes, verborgene Schönheit. Motive kündigen sich an, die später bestimmend werden, von einer Schwäche des Menschen ist die Rede, die man nicht geißeln, sondern in beide Hände nehmen möchte, von der Vergänglichkeit des Lebens, von Liebe und .Liebelei Und als es klar wurde, daß diese Welt, so schlecht sie auch sein mochte, in Gefahr stand, von einer anderen überwältigt zu werden, die noch viel, viel schlechter sein wollte und auch viel, viel schlechter war, fand die Phase der Rebellion ihren Abschluß, und diejenigen Motive, die sich bis dahin nur schemenhaft abgezeichnet hatten, nahmen Kontur an: die Verbindung von Liebe und Tod, das Verlangen, sich aufzugeben und wiederzugewinnen.

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