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„Und unten zerschellt das Gerippe”

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Die Glocke „donnert” bei Carl Zuckmayer zwar kein „mächtiges Eins”, um die Geister des „Totentanzes” in die Tiefe zu stürzen. Dafür besorgen das die Trommeln des Pelotons hinter der Szene, dieweil der malariaverseuchte Held in den Armen eines Krankenschwestermütterchens hinscheidet. Aber das, was wir bei der Uraufführung des Burgtheaters unter dem Titel „Die Uhr schlägt eins” zu sehen bekamen, ist wirklich nichts anderes als das in allen verdorrten Gelenken krachende Gerippe eines einst blühenden Lebens.

„Historisch” (wahrscheinlich im Sinne Heideggers gemeint) nennt Zuckmayer sein Drama. Er will die Charaktere und Handlungselemente als sinngültig für eine Epoche verstanden wissen. Das Unheil beginnt aber schon hier bei einem gründlichen Mißverständnis. Anhäufung, Aneinanderreihung von charakterisierenden Details ergibt noch nicht einmal ein Ibsen- sches Symbol, geschweige denn ein „Zeichen” im Sinne heutiger Dramatik, bestenfalls ein „Tongemälde” wie die „Alpensymphonie” oder „Tod und Verklärung”. Der große, frühe Zuckmayer besaß eine kaum von einem anderen seit Büchner erreichte Meisterschaft: mit dem Strich des Karikaturisten eine Figur, eine Situation zu umreißen, 6ie zur Chiffre für eine Zeit und Gesellschaft werden zu lassen. (Unvergleichlicher „Hauptmann von Köpenick”,) Hier aber soll ein Gemisch von Linien und dick geklecksten Farben Lebensfülle Vortäuschen, ein Aneinanderreihen von Fortsetzungsspannungen Handlung, ein Inventar von Gegenwartsklischees Zeitgeist. Man würde das Stück boshaft vollends zugrunde richten, wollte man hier den Gang der Handlung erzählen. Es klänge wie eine der kurzgefaßten Opcrn- handlungsberichte Slezaks. Nur daß man bei „Tosca” immerhin noch Musik vernimmt. Dort, wo es keine Handlung gibt,

sondern nur pointillistische Stimmung, wie etwa im Nachtgespräch des jungen, für den Tod schon „notierten” Juden auf der Brücke, ahnt man den alten Zuckmayer und was aus diesem Stück nach Weglassung von etwa 90 Prozent der Handlungswucherungen hätte werden können.

Was für ein Einakter! Was für eine lose Szenenfolge!

Aber er schrieb sie nicht. Und kein Dramaturg, kein Mann des Burgtheaters fand sich, der mit ihm darüber korrespondiert hätte, wie dies einst Schreyvogl mit Grillparzer besorgte Man ist dort zufrieden, bei der Auktion „den” Zuckmayer, „den” Fry zu ergattern. Man setzt auf Namen und Effekt. So wird das kaum weitergehen können. Wenn einer Zuckmayer versteht, dann ist dies Heinz H i 1- p e r t. Er rettete den Abend vor dem offenen Skandal vor allem durch seine Kunst des Weglassens und wirkungfördernden Aussparens Das Bühnenbild Lois Eggs verzichtete mit Recht auf Symbol- beladenheit, Daß Paula Wessely ihre Mutterrolle mit einer persönlichen Hingabe zu mehr als selbst der Idealvorstellung machte, die man sich 6chon beim Lesen des Stückes schuf, ehrt diese Künstlerin gerade ob der Unbedanktheit der Aufgabe. Peter Mosbacher verstand es, den freiwilligen oder unfreiwilligen sauren Kitsch der dämonischen Gangsterfigur aus dem baltischen Adel so zu meistern, daß man ihn stellenweise sogar unwillkürlich ernst nahm. Ernst Anders in der Rolle des liebebedürftigen Edelhalbstarken, Heinz Moog als sein Pathos klug sordinierender Vater: zwei verläßliche Schauspieler. Ein Sonderlob: Oswald Fuchs in der ungemein dichten (auch von Zuckmayer in alter Meisterschaft skizzierten) Figur des iungen Juden. Galapremierenbeifall ist in Wien kein unbedingter Gradmesser für den Erfolg.

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