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Festwochenpremiere

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Das Volkstheater hat sich sehr bemüht, zur Eröffnung der Wiener Festwochen einen eigenen Beitrag beizusteuern, der sich sehen lassen kann. Leon Epp betreut auf das sorgfältigste Carl Zuckmayers „Ulla Winblad“, ein Stück, das den Untertitel trägt: „Musik und Leben des Karl Michael Bellman.“ Bellman ist seinerzeit einem weiteren Publikum des deutschsprachigen Raumes bekanntgeworden durch Klabunds „Literaturgeschichte“. Dieser Dichter und Sänger des schwedischen Volkes, der in manchem an Günther und die deutschen Sänger des Sturmes und Dranges erinnert, eine kraftgenialische Natur, Wein, Weib und Gesang verschworen, empfahl sich nicht nur durch diese seine Eigenart einem Dichter wie Carl Zuckmayer, der in manchen Bezügen sich hier angesprochen wußte: Bellman lebte in einer gärenden Zeit des 18. lahrhunderts, in der Aufklärung und Blinklichter der Revolution, das Sehnen und Streben gebildeter Fürsten, Adeliger und Bürger zusammenstieß mit erstarrten Formen jener Adelsherrschaft, die durch mehr als ein Jahrtausend das Gesicht Europas mitgeprägt hatte. In Schweden ist es ein junger, fortschritt- und reformwilliger König, der, in Paris gebildet, sein Volk zu Freiheit und innerem Frieden führen will; eine tragisch-unglückliche Natur, in manchen Zügen unserem jungen losef II. verwandt: dem breiteren Publikum bekannt durch Verdis Oper „Der Maskenball“, da er auf. einem Hofball der Verschwörung einer adeligen Clique erliegt. Dieser Maskenball bildet auch den Höhe- und Wendepunkt des Zuckmayerschen Dramas: er zerbricht das Leben Bellmans, der durch die Gunst seines Königs, eines Volkskönigs, wie er ihn sich erträumt hatte, aus Gosse, Dunst und steter Verschuldung zum Hofpoeten aufgestiegen war, nunmehr im Kerker landet und bald darauf stirbt. — Zuckmayer gedachte in diesem seinem Thema offensichtlich; seine beiden Herzensanliegen wieder einmal zu vereinen: die Darstellung „freier“, lebens-hungriger, vitaler Kraftkerle, und ein politisches Moment, das ihm in den letzten Jahren die schönsten und echtesten Erfolge eingetragen hat: das Streben des Volkes und der Völker nach innerer Freiheit. In der „Ulla Windblad“ streiten nun aber diese beiden Elemente in einer Weise miteinander, die aus dem Stück keine Gestalt, kein gegossenes Ganzes werden läßt. Ulla, die Geliebte Bellmans, dann Gattin des Hauptes der adeligen Verschwörer, zugleich zart-distanzierte Seelenfreundin des unglücklichen Königs, und ihr Bellman (prächtig dieses Paar auf der Bühne: Martha Wallner und Hans Putz) singen wohl ihre Lieder von Liebesglück, Abschiedsschmerz und Tod, vermögen jedoch nicht, die Fassaden ihrer Umgebung zu durchlichten zur Darstellung eines großen historisch-politischen Zeitgemäldes, wie es Büchner in „Dantons Tod“ gelang. Bis zur Pause war ich, ich gestehe es offen, der Ansicht, hier liege ein Stück vor, wie es der Gemeinde Wien empfahlen werden dürfe für eine Freilichtaufführung im Hofe des Wiener Rathauses. Die Aufführung des Volkstheaters, voll Temperament und Schwung, bestärkte diese Meinung. Dann aber versank das Stück und mit ihm die Aufführung in einem gedehnten Ab-gesang, der nur zu offen verriet, daß, mit aller aufrichtigen Sympathie für den Autor sei es' gesagt, das immer dürftiger werdende Arsenal der Phrasen auch mit allem Einsatz von Singsang und Sentimentalität die Blässe des Gedankens nicht mehr zu überdecken vermochte. Schade! — Eine kräftige Kürzung dieses zweiten Teiles kann vielleicht manches retten. — Es bleibt der erste Teil, es bleibt der starke Entwurf, und es bleiben einige Szenen, die zeigen, was Carl Zuckmayer auf die Beine zu stellen vermag mit seinem sicheren Instinkt für das Theater, und was das Wiener Volkstheater leisten kann, auch wenn ihm so nach und nach diese und jene Schauspielerpersönlichkeit an die Burg wegverpflichtet wird.

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