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Vorolympische Freuden

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Mit der Neuinszenierung des „Rosenkavaliers” durch Otto Schenk wurden den Münchnern — die von der Bayerischen Staatsoper in der Zuteilung von Karten für das Kulturprogramm der Olympischen Spiele nicht gerade verwöhnt werden — gewissermaßen vorolympische Freuden zuteil, zumal Carlos Kleiber — ein besonderer Magnet für Münchner Opferfans — am Dirigentenpult mit selbstverzehrender Hingabe seines Amtes waltet, während Jürgen Rose in „königstreuen” Dekors schwelgte und im Jahre 1972 das anachronistische Kunststück vollbrachte, im Münchner Nationaltheater das Haus Habsburg mit dem der Wittelsbacher zu vereinen, in dem er sich im Wiener Etablissement „Faninals” der Rokoko-Stukkaturen der Münchner Amalienburg bediente.

Man könnte glauben, daß sich der „Rosenkavalier” von selbst, also aus sich heraus spielt, daß es gar keine großen Unterschiede in der „Auffassung” geben könne. Aber Schenk macht eben doch alles ganz anders, und während etwa Rudolf Hartmann 1962 hinter einem Schleier aus Charme und Diskretion agieren ließ, deckt Schenk realistische Details auf, wagt er den Blick durchs Schlüsselloch: Ein zerwühltes Bett in dem mit großflächigen Gobelins ausgestatteten prunkvollen Boudoir der Marschallin ist Zeugnis der vom turbulenten Orchestervorspiel musikalisch geschilderten Liebesnacht. In Gwyneth Jones erblicken wir eine auffallend junge „Marschallin”, der man das zerwühlte Bett, nicht aber die leise Resignation abnimmt, die dieser Figur nun einmal anhaftet, auch ist der Altersunterschied zu Octavian nicht gravierend genug. Eine Verjüngung kann durchaus angestrebt werden, doch müssen die Relationen dabei stimmen. Auch geht es etwas salopp in diesem Boudoir zu: Frau „Marschallin” läuft längere Zeit barfuß herum und Octavian wirkt mit seinen aufgeschnürten Beinkleidern wie aus einer Shakespeare-Komödie.

Frau Jones hatte zunächst etwas Mühe mit dem Stimmansatz, ihr Piano ist nicht sehr tragfähig, doch wächst sie rasch — wenn auch etwas unvermittelt — in die Entsagerrolle hinein und findet im 3. Aufzug zu bemerkenswert verinnerlichter Darstellung. Eigenartig, daß Schenk mit der „Bagagi” im 1. Aufzug nicht viel anzufangen weiß, die illustren Gäste stehen etwas verloren herum und dem „Sänger” von Gerhard Unger fehlt der selbstgefällig-tenorale Schmelz.

Vom 2. Aufzug ist zu berichten, daß er zunächst ganz im Zeichen von

Roses Amalienburg-Zitat steht, aber auch in der Überreichung der Rose und dem großen Auftritt des Baron Ochs wirklich sitzt. Schenk hat es verstanden „den auf Lerchenau” in Schranken zu halten und Karl Ridderbusch ist ein vortrefflicher Landadeliger, der auch stimmlich restlos überzeugen konnte. Eine große Bereicherung ist Lucia Popp als Sophie. Nicht nur, daß sie reizend aussieht und einen lupenreinen, hellen Sopran besitzt, ihr Timbre verband sich auch mit dem der unvergleichbar singenden und spielenden Brigitte Fassbaender („Octavian”) zu schönster Harmonie. Daß die Rosenübergabe selbst nicht zu dem sonst üblichen Verklärungs-Zeremoniell führt, ist bewußt in die neue Konzeption eingebettet, welche ja die völlige Auflösung in Handlungsfaktoren zum Ziel hat. Das „Extrazimmer” für den Herrn Baron im 3. Akt hat Jürgen Rose auf den Speicher verlegt, hier können sowohl Ochs als später auch die Masken ihr böses Spiel treiben, und Carlos Kleiber inspiriert das berühmte Terzett: zu einer atemraubenden, dramatischen Steigerung.

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