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Wenn Literaten Dichter Literaten nennen...

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Seinen Essay „Heine“ nennt Fritz J. Raddatz „Ein deutsches Märchen“, er will damit nicht sagen, daß er uns ein Märchen über den vielgelobten Dichter erzählt, sondern, daß alles Märchen war, was bisher über ihn gesagt worden ist. Heine nannte sich arm und war ein Schwerverdiener (er nahm mehr ein als, beispielsweise, Goethe jemals), nahm Geld von Rothschild und verspottete ihn, war nie Revolutinär oder gar Sozialist, verhandelte mit Metternich und bezog eine obskure Rente von der französischen Regierung, ließ sich protestantisch taufen, ohne im geringsten bekehrt zu sein, einfach aus Karrieregründen, sagte seiner unge-büdeten Mutter ungewöhnliche Bildung nach, und sie hat auch nicht ihren Schmuck verkauft, um dem Sohn das Studium zu ermöglichen (das vom Onkel Salomon finanziert wurde), sondern um dem bankrotten Gatten zu helfen. Im „Wintermärchen“ dichtete er eine „Stammburg/Wo mein Großvater geboren ward“, doch es war, berichtigt Raddatz, „ein bescheidenes einstöckiges Häuschen“. Kurzum: „Heines Leben ist von zahllosen Legenden umrankt, und ihr Produzent hieß - Heinrich Heine.“ Alles war eine „Pirouette des Künstlers“, denn: „Bei Heine geht das Inszenatorische weit.“

Bei Raddatz aber auch, daher seine makaber wirkende Heine-Begeisterung. Er sagt dem Dichter das Schlechteste nach und findet es gut, auch die bekannt schlechten Verse; die guten, die er - zumal in den letzten Jahren - zustandebrachte, kommen kaum aufs Tapet „Was er wollte, war nichts als die Künstlerperfektion, nichts als die Sprache zum Tanzen bringen ...“. Das hat Karl Kraus freilich schon 1910 in seiner vielstrapazierten Untersuchung „Heine und die Folgen“ zum Ausdruck gebracht: „Wahrlich, der Heinesche Vers ist Operettenlyrik, der auch gute Musik vertrüge.“ Also nicht, wie Kraus-Gegner Raddatz es ummogelt, „seiner Meinung nach Operettenkitsch“, weil „gute Musik“ natürlich keinen Kitsch ergibt Vorher zitiert unser „Professor für neuere deutsche Literatur“ eine Heine-Strophe, die in dem Kraus-Aufsatz nicht vorkommt (sondern in zwei anderen, die 11 und 17 Jahre später geschrieben wurden) und behauptet glattweg: „Von hier bezog Karl Kraus seinen Groll gegen Heine“, was beweist, daß er nicht einmal das „Nachwort“ gelesen hat, geschweige denn die 141 (!) Fackel-Hefte, in denen laut „Personenregister zur Fackel“ von Franz ögg Heine zur Sprache kommt.

Kraus deponierte nämlich ausdrücklich: „Nicht eine Wertung Heine'scher Poesie, aber die Kritik einer Lebensform, ... wurde hier gewagt.“ Ja, „und die Folgen“ wurden von Kraus beklagt. Zu ihnen paßt der linkdgedrallte Raddatz; es ist Selbstbehauptung, wenn er, hier durchaus zugunsten Heines, zynisch formuliert: „Heinrich Heine war ein Schriftsteller, und Ludwig Börne war ein Ehrenmann.“ Fritz J. Raddatz fühlt sich anscheinend auch als Schriftsteller. Heine soll (zu Börne) gesagt haben, er würde gegen seine Uberzeugung ganz so gut schreiben wie mit ihr. Raddatz widerspricht (oder rügt) Heine hier keineswegs; er sieht alles Negative, das man dem Dichter angelastet hat, positiv, denn: „Heinrich Heine war Artist.“ Nicht nur der Sprache, auch der Gesinnung nach. Hauptsächlich das wird 150 Textseiten lang belegt. Nicht eine einzige wird von dem kuriosen Literaturprofessor auf einen Nachweis verschwendet, daß Heine ein großer Dichter war! Man denkt an Tucholsky: „Wenn Literaten Literaten Literaten nennen...“ Aber Heine war eben mehr als Literat. Hier müßte es also heißen: Wenn Literaten Dichter Literaten nennen...

Was an der salopp argumentierenden Monographie so befremdet: die geradezu monomanisch gerühmte (und bittesehr, stark übertriebene!) Gesinnungslosigkeit eines Literaten als „Jahrhundertkerl“ - von einem Ordinarius vorgetragen, der diese Haltung am Beispiel Heine für richtig erklärt.

Als einst „Geschlecht und Charakter“ von Otto Weininger erschienen waren - eine Frauenverdamrnung sondergleichen -, telegraphierte der junge Karl Kraus dem Autor, ein Frauenverehrer stimme den Argumenten des Autors begeistert zu. Gemeint war: Ihre Feststellungen über die Andersartigkeit der Frau stimmen, aber eben darin liegt doch der Reiz der Frauen. Heinrich Heine hatte ohne Zweifel eine amoralische Charakterkomponente, wie jeder weiß und viele beklagt haben; Professor Raddatz findet nur das Amoralische an Heine wesentlich und lobt ihn dafür so bedingungslos, wie noch kein Moralist gelobt worden ist: Eine fatal amoralische Perspektive, wissenschaftlich getarnt.

HEINE. Von Fritz J. Raddatz. Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 1977. 206 Seiten, öS 169,40.

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