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Heine und die Gründe

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Vor rund 60 Jahren, (genau: im April 1910) erschien die polemische Studie „Heine und die Folgen“ von Karl Kraus, worin die verheerenden Auswirkungen untersucht wurden, ehe der lyrische Longseller „Budi der Lieder“ innerhalb von drei Generationen auf den Geschmack der Leser und die Schreibweise nachgeborener Autoren hatte. Bald nachher (1912) wurde durch die „Deutsche Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts“ von Richard M. Meyer abermals (wie schon so oft seit der ersten Heine- Biographie, 1867, von Adolf Strodt- mann) Heinrich Heine als „der größte Lyriker seit Goethe“ bezeichnet. Immerhin lagen zu Beginn dieses Jahrhunderts von Goethes „Pandora“, mit den wesentlich schwerer zu lesenden Versen, Restexemplare der Erstauflage noch in deutschen Buchhandlungen auf. Der Sturm gegen jene Streitschrift von Karl Kraus war demnach beträchtlich. Er reichte von deutschtümelnden Germanisten bis zu vielen, sich quasi persönlich gekränkt fühlenden, einfachen jüdischen Lesern.

Der sprachempfindliche und hochangesehene Literaturkenner Gerhard Storz, von dem neben anderen Werken die umfänglichen Monographien „Der Dichter Friedrich Schiller“ (bereits in vierter Auflage) und „Eduard Mörike“ vorliegen, hat soeben als weitere „Heinrich Heines lyrische Dichtung“ herausgegeben. Das Buch beginnt mit der Feststellung: „Einen .verhängnisvollen Erleichtere!-“ bat man ihn genannt, und in diesem Sinn spricht Karl Kraus von ,Heine und die Folgen’.“ Es geht dann um eine ausführliche Ehrenrettung des Lyrikers Heine (die Prosa bleibt, dem gestellten Thema entsprechend, bewußt ausgespart), auch um die Gründe für die viele Jahrzehnte währende Faszination solcher Lyrik und endlich auch, wenngleich nur en passant, um die Gründe für das längst, und zwar noch vor Hitler, eingetretene Schwinden der Begeisterung für den ironischen Gefühlspoeten. Ganz allgemein gibt der Verfasser zu, „Entfernung von Heine hat zu Beginn unseres Jahrhunderts eingesetzt“, ohne jedoch je wieder den Namen Karl Kraus zu nennen, dessen poetologische Argumentation ja nach 1910 weitergegangen ist (und in dem Essay „Der Reim“, 1927, gipfelt) und dessen Standpunkt sich — direkt und indirekt — zu ungunsten der Versa- tilität Heines allmählich eben durchgesetzt haben dürfte, gerade so wie umgekehrt die große Gedenkrede „Nestroy und die Nachwelt“, die Karl Kraus 1912 gehalten und gedruckt hat, bei besagter Nachwelt in dem beliebten Spaßmacher erst den großen Bühnensatiriker erkennen ließ. Einschließlich des Schlußkapitels, „Heines Dichtertum“, einem Resümee, bleiben Karl Kraus und sein Urteil — ungenannt — einem Revisionsversuch unterworfen. Doch die Unterwerfung kann umso weniger gelingen, als Gerhard Storz bis zuletzt — immer ungenannt — mit seinem verewigten Gesprächspartner weitgehend konform denkt. „Den Ausschlag geben für mich die Gedichte aus der Matratzengruft“, beginnt der Schlußabsatz des Buches, dessen vorletzter Satz lautet: „Es war dem Sterbenden nicht nur gegeben, zu sagen, wie er leide, sondern es in verwandelter, eben in dichterischer Weise zu sagen.“ Und Karl Kraus, 1910: „Die Lyrik des Sterbens, Teile des Romanzero, die Lamentationen, der Lazarus: hier war wohl der beste Helfer am Werke, um die Form Heines zur Gestalt zu steigern. Heine hat das Sterben gebraucht, um ein Dichter zu sein.“

Auf das Problem der vielgenannten „Heine-Strophe“ geht Storz nicht eigens ein: Jenem überstrapazierten Vierzeiler, bei welchem sich zwar die vierte mit der zweiten, nicht aber vorher die dritte mit der ersten Zeile reimt. Sie sieht (bei Heine oft genug) umso fataler nach Halbheit aus, „wenn von Gnaden des Zufalls plötzlich doch ein Reim hineingerät“, so daß die äbab-Form in der einen Strophe, zum Unterschied von den anderen, korrekt durchgereimt ist, „und den Leser erst recht auf das aufmerksam macht, was der Verfasser sonst nicht getroffen hat“(K. K.) Freilich, „das Ungefähre“ und „das Verblaßte der Vergleichsbilder“ kommt auch bei Storz zur Sprache. „Darauf ist schon mehrfach hingewiesen worden, insbesondere von Walther Killy und Walter Hollerer“, — insbesondere aber von Karl Kraus, lange bevor die genannten Kapazitäten unserer Zeit auf der Welt waren.

Wenn Georg Lukäcs und DDR- Festredner in Heinrich Heine noch immer „den größten Dichter seit

Goethe“ sehen, meinen sie selbstverständlich den politischen Oppositionsschriftsteller und nicht den Lyriker. Gerhard Storz hat zweifellos recht, wenn er der von dort kommenden Behauptung, „die reaktionäre Literaturgeschichte“ habe den Ruhm Heines verdunkelt (gemeint ist wohl der wissenschaftlich nicht ernst zu nehmende Adolf Bartels), entgegenhält, Heinrich Heine sei ganz einfach der Lieblingsdichter der deutschen Bourgeoise gewesen, sogar einschließlich eines Gentz, Metternich und Bismarck. Diese Bourgeoisie gibt es nicht mehr; ihr Niedergang bedeutete auch das Ende für den Ruhm des Lyrikers Heinrich Heine.

HEINRICH HEINES LYRISCHE DICHTUNG. Von Gerhard Storz. Ernst-Klett-Verlag, Stuttgart 1971. 258 Seiten. DM 25.—.

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