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Ein kleines Nein und ein großes Ja

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Was tun, als Rezensent des meisterhaften Werks eines meisterhaften Autors, mit dem man in allen Dingen unterschiedlicher Meinung ist, außer in den wesentlichen? Kann man denn einer Sprache widersprechen, in der jedes Wort knistert und jeder Satz Funken stiebt? Kann man von Hans Wei-gels überlegener Menschlichkeit weniger begeistertsein, nur weil er Dinge, die man mag, nicht mag? Zugegeben, die Sache wird schwierig, wenn er, wie diesmal, nicht über Österreicher oder über liebe Schweizer, sondern über Deutsche schreibt, über eine alte, nunmehr nostalgisch wieder aufgeflammte und gepflegte Liebe, wie er gesteht. Er mag sie eben, die Deutschen.

' Aber die Fritzi Masary mag er nicht und die Habsburger mag er nicht, den Kortner mag er nicht und die Wittelsbacher mag er nicht, den Höfmannsthal mag er nicht und den Heinrich Heine mag er nicht. Heines Loreley hat er sogar ins Deutsche übersetzt, in rhythmisch korrekte, grammatikalisch einwandfreie, sprachlich makellose Verse. Hans Weigels Loreley ist (wie denn auch anders?) perfekt. Allein, das ist es eben. Bei Heinrich Heine ergibt allzeit die Summe unzulänglicher Häßlichkeiten ein Ganzes, dessen (offenbar polytonale) Melodie man nicht so bald wieder vergißt. Heine braucht nur schlicht und heimelig vor sich hin zu jüdeln - und schon stimmt die Stimmung. Schon bricht die Kaiserin Elisabeth in Tränen aus, schon beugt der Thanner in Ehrfurcht das Knie und gedenkt der Tage, in denen man Heine mit Andacht las, weil er verboten war. Nur hat de“r Hans Weigel dann eben wieder hundertmal recht, wenn er nachweist, daß alle wirklich geistreichen Dichter unseres Jahrhunderts nicht von Heine, sondern von dem unerschöpflichen Niedersachsen Wilhelm Busch abstammen („und das hat mit ihrem Singen die fromme Helene getan“).

Hans Weigel hat überhaupt hundertmal recht, wo er nicht unrecht hat (wo hat er?), und man muß nachlesen, was er etwa über die Hannoveraner sagt, mit denen uns Österreicher ein rätselhaftes unterirdisches Wurzelgeflecht verbindet (was man erst wirklich versteht, wenn man einmal irgendwo hinter Celle, an Giebeln mit Sachsen-rössern und Wendenknüppeln vorüber, in die blaue, blühende Heide hinaus gefahren ist), und man muß nachlesen, was Hans Weigel über Deutschlands Südwestecke, über das einstige Vorderösterreich, schreibt und über Berlin - jenes von einst vor allem, we^ niger über jenes von heute. Und wenn man inmitten jedes Kapitels einmal, zweimal wutentbrannt „Nein! Nein! Nein!“ gerufen hat, dann sagt man am Ende jedes Kapitels lächelnd und ohne weitere Umstände „Ja!“, denn es gibt Kostbarkeiten der Sprache und des Geistes, die eben unverwechselbar und unwiederholbar nur von Hans Weigel stammen können.

Und nur einem Hans Weigel, keinem Sterblichen sonst, kann das widerfahren: durch das nächtliche Bayreuth zu wandern, ein einziges Fenster nahe der Villa Wahnfried beleuchtet zu finden, in diesem Fenster, wie auf des Bildschirms Mitten, die Witwe walten zu sehen, die Winifred. Sich ausstellend. Aus dem Verkehr gezogen, aber anwesend und von allen ihren unausdenkli-chen Vergangenheiten bewältigt. Man darf, man muß es glauben.

DAS LAND DER DEUTSCHEN MIT DER SEELE SUCHEND. Von Hans Weigel. Artemis Verlag, Zürich 1978, 254 Seiten, öS 140,10.

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