Sobol - © picturedesk.com / Action Press / Kommersant Photo Agency

Oppositionspolitikerin Lubow Sobol: „Ich glaube an die Russen“

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Am 17. und 19. Sptember finden in Russand Parlamentswahlen statt. Es sind Wahlen, die laut Lubow Sobol die Wende zur „De-facto-Diktatur“ markieren. Sie selbst wurde von der Wahl ausgeschlossen.

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Am 17. und 19. Sptember finden in Russand Parlamentswahlen statt. Es sind Wahlen, die laut Lubow Sobol die Wende zur „De-facto-Diktatur“ markieren. Sie selbst wurde von der Wahl ausgeschlossen.

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Zweitausendzwanzig, das war ein Jahr, in dem im Leben der KremlKritikerin und Oppositionspolitikerin Lubow Sobol alles auf den Kopf gestellt wurde: ihre Pläne, ihre Hoffnungen, ihre Ambitionen. Die 33-jährige Juristin kandidierte nicht nur für die russische Staatsduma, sondern war auch eine der führenden Persönlichkeit in der Anti-Korruptions-Stiftung (FBK) von Oppositionspolitiker Alexej Nawalny. Zugleich war sie Produzentin und manchmal auch Moderatorin des beliebten Youtube-Kanals „Nawalny Live“, der in den letzten zehn Jahren hunderte Untersuchungen von Korruption in den höchsten Rängen der Regierung veröffentlicht hat.

Doch seit vergangenem Dezember, als Nawalny – zusammen mit der niederländischen Investigativplattform Bellingcat, dem Spiegel und CNN – eine Untersuchung über seine eigene Vergiftung durch den Geheimdienst FSB veröffentlichte, ist alles anders: Am Tag der Veröffentlichung der Untersuchung wurde sie verhaftet. Sie war dabei gefilmt worden, wie sie an die Wohnungstür eines der FSB-Gift-Attentäter klopfte. Seitdem wurde sie mehrfach festgenommen, ihre Wohnung wurde von der Polizei aufgebrochen, sie saß im Gefängnis, stand unter Hausarrest. Ihr wurde vorgeworfen, Minderjährige zu Protesten angestiftet, gegen Covid-Vorschriften verstoßen und einer extremistischen Organisation angehört zu haben. Und schließlich wurde ihr die Kandidatur bei den bevorstehenden Parlamentswahlen untersagt.

Als Alexej Nawalny Mitte Januar dieses Jahres nach Russland zurückkehrte, waren sich Sobol und der Rest seines Teams sehr wohl bewusst, dass Putins Repressionen verschärft werden würden. Das Ausmaß der tatsächlichen Repressionen jedoch, so Sobol zur FURCHE, sei „das absolute Worst-Case-Szenario“, das sie hätten vorhersehen können.

„Ausländische Agenten“

Nachdem die Verhaftung und Inhaftierung Nawalnys im Januar und Februar landesweite Proteste ausgelöst hatte, begann die Regierung mit einem in der post-sowjetischen Geschichte des Landes beispiellosen Rundumschlag. Die Ziele: Opposition, unabhängige und kritische Journalisten sowie zivilgesellschaftliche Gruppen. Und je näher die Parlamentswahl am 17. und 19. September, um so größer der Druck. Mit Stand 31. August listet das Justizministerium 43 Medien und Journalisten sowie 76 Gruppen der Zivilgesellschaft als „ausländische Agenten“ auf. Weitere 46 Gruppen wurden als „unerwünschte Organisation“ eingestuft, darunter Russlands einziges unabhängiges Meinungsforschungsinstitut „Levada-Zentrum“, das „Komitee gegen Folter“ und „Transparency International“.

Verboten sind in Russland inzwischen auch friedliche Proteste. Selbst das Verteilen eines Flugblatts auf der Straße kann dazu führen, dass man zum Extremisten erklärt und für bis zu 8 Jahre ins Gefängnis gesteckt wird.

Die Situation zeige, „wie schwach der Kreml ist“, sagt Sobol. Denn eines müsse man verstehen: „Dass Putin große Angst hat, seine Macht zu verlieren.“ Vor allem aber habe er auch Angst vor seinem eigenen Volk: Es sei vor allem die „ständig sinkende Popularität der Regierungspartei (in Moskau liegt sie nach offiziellen Umfragen bei nur 15 %, Anm.), die Putin wütend macht.“ Denn Putin und seine Propagandisten würden gerne behaupten, dass die demokratische Opposition eine Randgruppe sei. „Aber“, so sagt Sobol, „wenn das wahr wäre, hätte Putin Nawalny nicht verboten, 2018 für das Präsidentenamt zu kandidieren, und er hätte auch nicht versucht, ihn zu töten und dann weggesperrt.“

Als Parlamentskandidatin hatte Sobol in Moskau eine Hausmacht. Sie verfügte über ein Team, hatte ein Hauptquartier und betrieb eine erfolgreiche Fundraising-Kampagne. Sobol: „Man hat mir die Kandidatur verboten, weil ich Putins Partei geschlagen hätte. Und der Kreml weiß das.“ Umfragen unterstützen das. Dass sich Russland aber so schnell „von einer hybriden Demokratie zu einer De-facto-Diktatur entwickeln würde“, sei kaum vorherzusehen gewesen, so Sobol.

Am 9. Juni hatte das Moskauer Stadtgericht die FBK und alle ihre Mitarbeiter, darunter auch Sobol, als „extremistisch“ eingestuft. Die Organisation wurde aufgelöst. Aber obwohl das ausgedehnte Netz an FBK-Büros in ganz Russland geschlossen werden musste, sagt Sobol, dass der Schwung der Unterstützer keineswegs nachgelassen hat. „Die FBK ist mehr als ein Eintrag im Register juristischer Personen“, sagt sie. Die Organisation sei ein Symbol für Menschen, „die in einem normalen, zivilisierten Land leben wollen, mit unabhängigen Gerichten, Medien und anderen demokratischen Institutionen.“ Einem Land vor allem aber auch, „in dem der Hauptgegner des Präsidenten nicht mit chemischen Waffen vergiftet wird.“

Und dennoch: Nawalny sitzt im Gefängnis, Pawel Zelenski, der Kameramann von FBK, ist ebenfalls in Haft, einige Kollegen Sobols standen oder stehen unter Hausarrest. Aber dennoch sagt sie: „Unsere Bewegung besteht.“ Dabei hat Sobol selbst Russland inzwischen verlassen. Seit Anfang August lebt sie an einem „ungenannten Ort“.

Wahl ohne Kontrolle

Bei den Wahlen geht der Kreml jedenfalls kein Risiko ein. Geht es doch vor allem auch um das Fundament für Verfassungsmanöver vor der Präsidentenwahl 2024. Nicht nur, dass alle Gegner aus dem Rennen genommen wurden, so ortet Sobol auch „umfangreiche Anstrengungen“ um „Fälschungen am Wahltag vorzubereiten.“ Fakt ist: Wahlbeobachtern der OSZE wurde untersagt, die Abstimmung zu beobachten. Die Videoüberwachung in den Wahllokalen wird ebenfalls „gestrichen“ und heimische Beobachter werden behindert.

Aber Sobol bleibt optimistisch. „Ich glaube an die Russen“, sagt sie. Putin werde nicht ewig an der Macht sein und dieses Regime werde nicht ewig bestehen. „Ich wünsche mir nur, dass das Land früher auf den Weg der Entwicklung kommt.“

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