"Israel teilen lernen"

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Die Dominanz Israels über die Palästinenser beschädigt die israelische Gesellschaft, sagt Joshua Sobol. Der israelische Dramatiker und Schriftsteller fürchtet zudem das Erstarken einer falschen Religiosität.

Die Furche: Herr Sobol, Sie sind schon neun Jahre vor der israelischen Staatsgründung als Sohn osteuropäischer Einwanderer in Tel Aviv geboren. Sie kennen Israel von den ersten Tagen seiner Existenz an, haben als junger Mann jahrelang in einem Kibbuz gelebt - wo steht Israel an seinem 60sten Geburtstag?

Joshua Sobol: Die Situation in Israel ist heute sehr schlimm. Die Korruption ist so weit verbreitet, dass es wirklich Angst macht. Das hat einerseits zu tun mit der wilden Privatisierung der israelischen Wirtschaft, andererseits hat uns auch die Eroberung der Palästinensergebiete und diese Dominanz über die Palästinenser sehr stark korrumpiert. Aus einer solchen Situation kann man nicht unbeschädigt herauskommen. Man wird psychologisch und gesellschaftlich beschädigt.

Die Furche: Macht korrumpiert?

Sobol: Wir können es uns erlauben, ein anderes Volk zu unterdrücken, das genauso unabhängig sein sollte wie wir. Ich sehe keine Lösung für dieses Problem. Die politische Rechte hat Israel fast die ganzen letzten 40 Jahre regiert und eine Situation geschaffen, die fast unumkehrbar ist. Es gibt keine Regierung, die jetzt die Stärke hätte zu sagen: Stopp! Wir machen Schluss mit den Siedlungen in den Palästinensergebieten.

Die Furche: Was würde passieren, wenn man die Siedler rausschmeißt?

Sobol: Wenn es eine starke Regierung gäbe, würde gar nichts passieren. Ein paar Demonstrationen würde es vielleicht geben und eine kurze politische Krise - aber wir müssen durch diese Krise durchgehen. Es gibt keinen anderen Ausweg, wir müssen die eroberten Gebieten zurückgeben. Es gibt drei bis vier Millionen Palästinenser und wir sind sieben Millionen in Israel - elf Millionen Menschen leben in diesem Land zusammen, wir müssen lernen, das Land zu teilen.

Die Furche: Das Land, das Wasser, andere Ressourcen …

Sobol: Ja, alles lässt sich teilen, aber man muss zusammenarbeiten. Was wir brauchen, ist eine ganz neue Haltung, und ich sehe sie nicht kommen. Ich bin ganz verzweifelt. Ich weiß, es gibt unter den 30- bis 40-Jährigen in Israel auch Stimmen, die für ein Miteinander plädieren - aber sie sind noch eine sehr kleine Minderheit.

Die Furche: Wo steht Ihrer Meinung nach die Mehrheit?

Sobol: Die Mehrheit lässt die Religion immer mehr an Bedeutung gewinnen. Das ist keine ernste Religiosität, aber diese oberflächliche Religiosität verbreitet sich mit einer New-Age-Attitude, richtet viel Schaden an und für unsere Gesellschaft ist sie ganz gefährlich. Aber die Orthodoxen sind sehr zufrieden mit dieser New-Age-Mentalität. Junge Israelis laufen ihnen zu und interessieren sich für den Talmud, die Kabbala usw. Ich glaube, das ist ein ganz gefährliches Phänomen.

Die Furche: Inwiefern?

Sobol: Menschen, die nicht mehr Schritt halten können mit der neuen Situation der Globalisierung, sind frustriert, haben Angst und fallen zurück in die Arme von Mutter Religion. Aber das ist eine falsche Religion, sie sind nicht echt religiös. Und diese Mischung zwischen einer sehr oberflächlichen Religiosität mit einer klerikal-politischen Bewegung - diese Mischung wird immer bedrohlicher. Mich ängstigt das sehr und ich sehe keinen Ausweg. Ich glaube, wir brauchen viel Hilfe von außen.

Die Furche: Wie könnte diese Hilfe aussehen, dass sie angenommen wird?

Sobol: Man muss mit sehr klaren Plänen kommen und sagen: Hier ist der Plan, hier sind auch die finanziellen Möglichkeiten, und das werdet ihr machen - und wenn nicht, folgen Sanktionen.

Die Furche: Wer könnte das machen, wer hat genug Einfluss und genießt genug Vertrauen in Israel?

Sobol: Nur Amerika und die EU. Von den Russen weiß ich derzeit nicht, wo sie sind und wer sie sind. Ich glaube, Russland ist derzeit eine sehr unberechenbare Macht. Auch China ist sehr unberechenbar. Und die islamische Welt wird mehr und mehr militant, aggressiv und auch verzweifelt. Das ist eine furchtbare Weltsituation.

Die Furche: Was würden Sie österreichischen oder deutschen Medien raten, wie es sich gegenüber Israel verhalten sollen? Ist es ein Zeichen der Normalität, wenn man Israel wie jeden anderen Staat kritisiert, oder hat man im deutschen Sprachraum eine besondere Verantwortung und darf manche Dinge nicht sagen, um nicht das Geschäft des Antisemitismus zu betreiben?

Sobol: Die Deutschen und Österreicher sollen allein entscheiden, was sie tun. Es ist nicht meine Rolle zu sagen: Ihr sollt euch uns gegenüber so oder so verhalten. Aber die Frage ist ernst. Es gibt diese Empfindlichkeit in Israel, das ist klar, und die hat sich mit den Jahren nicht reduziert. Und es gibt derzeit eine neue Welle von Antisemitismus - in England, in Frankreich …

Die Furche: Wie wird das in Israel aufgenommen?

Sobol: Es herrscht ein gewisses Misstrauen, man fragt sich, wer sind unsere Freunde, wer unsere Feinde? Die Situation ist ganz gefährlich. Ich erinnere mich an die Zeit vor 20 Jahren: Damals war ich viel optimistischer, was die Lösung des Nahost-Konflikts betrifft. Heute schaffen die Radikalisierung des Islam einerseits und der orthodoxen Juden andererseits eine Situation, wo es am Ende zu einem Krieg kommen kann.

Das Gespräch führte

Cornelius Hell.

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