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Seit über 40 Jahren übermittelt Christine von Kohl Grüße vom Balkan. Grüße von Europäern an Europäer, die noch immer zuwenig voneinander wissen.

Christine v. Kohl *1923

Journalistin

Grüßen Sie Ihr dänisches Volk von uns!" Mit diesem Auftrag im Gepäck ist Christine von Kohl einmal von einer Reise vom Balkan zurückgekehrt - und die in Deutschland geborene dänische Österreicherin ist diesem Wunsch gerne nachgekommen, nicht nur in Dänemark, auch in Deutschland, in der Schweiz ... vor allem aber in Österreich. Und sie hat damit nicht aufgehört: Denn Christine von Kohls journalistische und publizistische Arbeiten der letzten 40 Jahre sind letztlich allesamt Grüße vom Balkan - einmal wunderbar schöne Grüße, einmal katastrophale, erschreckende Grüße, immer aber mit viel Wissen über den Balkan und viel Herz für den Balkan übermittelte Grüße.

1968 ist Christine von Kohl mit ihrem Mann Wolfgang Libal nach Belgrad gezogen. Libal berichtete für die Deutsche Presse Agentur (dpa) aus Jugoslawien, Kohl schrieb als Korrespondentin für die Presse, die Neue Zürcher und andere Medien. "Ich wusste nichts", blickt Kohl auf ihre erste Zeit in Belgrad zurück, "nichts von der Geographie, nichts von der Kultur, nichts von der Geschichte - doch schon bald fing mich diese Region an zu fesseln." Ihre erste Begegnung mit "Europa" am Balkan hatte Kohl bei einem Besuch im Kosovo. Ein Vater stellte ihr seine Kinder vor: "Helena, Antigone, Elektra, Xanthippe, Sokrates, Paris ..." und der erstaunte Gast erfuhr bei dieser Gelegenheit, dass viele albanische Eltern ihren Kindern griechische Namen geben. Kohl: "Sie fühlen sich den griechischen Wurzeln des albanischen Volkes zutiefst verbunden, diese Wurzeln teilen auch wir im Westen mit ihnen, nur machen wir, sozusagen im täglichen Leben, keinen Gebrauch davon."

Helena, Antigone, Elektra, Sokrates ...

Eine zweite Erkenntnis, die Kohl von diesem Besuch mitgenommen und die sie all die Jahre auf dem Balkan begleitet hat, ist "die tief wurzelnde Verbundenheit mit einer fernen Vergangenheit, die aber tatsächlich für so gut wie alle Menschen am Balkan prägend ist."

17 Jahre, bis 1985, ist Christine von Kohl in Belgrad - "eine mühsame, aber faszinierende Stadt" - geblieben, und die Rückkehr nach Wien ist ihr nicht leicht gefallen: "Da bin ich einige Jahre getaumelt." Aber Rückkehr nach Österreich bedeutete nicht Abkehr von der Region und ihren Menschen. Die (Unheils-)Zeit des Slobodan MilosÇevi´c hatte gerade begonnen und Kohl spürte noch mehr als in den Jahren zuvor "die Diskrepanz zwischen den Menschen und dem Regime" und wie schnell und wie leicht "unschuldige Menschen unter die Räder eines verbrecherischen Systems geraten können". Grundlegend für ein besseres Verständnis des Balkans ist für Kohl, dass "diese Menschen keine Erfahrung in staatsbürgerlichem Denken haben, in ihrer ganzen Geschichte nie als Subjekte, immer als Objekte" behandelt wurden. Allein im "Kanon", im Jahrhunderte alten Gesetz Albaniens, sieht Kohl "ein grandioses Aufbegehren, aus Chaos Ordnung zu schaffen - denn der Kanon regelt alles". Insofern gibt es für Kohl auch auf dem Balkan ursprünglich "eine viel echtere Demokratie als bei uns - wenn man Demokratie als den Gegenteil einer hierarchisch aufgebauten Gesellschaft versteht".

Im Unverständnis des Westens und besonders der eu gegenüber der Kultur und Geschichte des Balkans, sieht Kohl auch das Grundübel für die stockende beiderseitige Annäherung. Richtig zornig wird die Journalistin, wenn sie von Begegnungen mit eu-Beamten oder Vertretern anderer internationaler Organisationen im Flugzeug nach Belgrad oder PriÇstina oder Sarajewo erzählt: "Das ist doch bloß ein Massentourismus, die haben keine Ahnung, die interessiert auch nichts und nach ein paar Jahren ziehen sie weiter." Auch bei den Menschen in Bosnien, im Kosovo und andernorts spürt Kohl eine "unerhörte Bitterkeit" gegen diese Vertreter internationaler Organisationen: "Die Hoffnung auf die eu ist verschwunden."

Leider haben sich auch die vor zehn Jahren in der Furche geäußerten Befürchtungen von Kohl zum Vertrag von Dayton erfüllt: "Was man wollte, hat man nicht erreicht - es wird zwar kein Blut mehr vergossen, aber das ist kein Friede." Die in Dayton zugrunde gelegte Dreiteilung Bosnien-Herzegowinas ist für Kohl das größte Hindernis zu einem wirklichen Frieden. Kleine Fortschritte zur Überwindung dieser Dreiteilung gibt es zwar, aber "die Lösung muss von innen heraus kommen, und nicht von außen auferlegt sein". Und welche Rolle soll dabei die eu spielen? "Sie soll als Mediator auftreten und Dialoge motivieren", meint Christine von Kohl; wie das geht, das kann die eu bei Frau Kohl nachfragen und nachlesen; sie macht das, sie beschreibt das - seit über 40 Jahren übermittelt sie die Grüße vom Balkan.

Christine von Kohl ist Herausgeberin und Chefredakteurin der Zeitschrift "balkan anders - Südosteuropäischer Dialog"

im Internet unter: www.balkan-dialog.org

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