Der kurze Prozess und seine Folgen

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Seine Schließung war sehr umstritten, nun soll der Wiener Jugendgerichtshof wieder errichtet werden. Was waren tatsächlich die Folgen der Auflösung?

Spätestens 2010 soll er seine Auferstehung erleben: der 2003 geschlossene Wiener Jugendgerichtshof im nun geplanten Justizzentrum Wien-Erdberg.

Die Schließung war für viele Experten ein unsinniger Akt, so auch für Justizministerin Maria Berger: "Die Schließung durch die Vorgängerregierung war eine völlig unverständliche Fehlentscheidung, die nicht von Sachargumenten getragen war." Nun erfolgt ihre Korrektur, wovon der Koalitionspartner alles andere als erfreut ist: "Ich halte nichts davon", sagt etwa Heribert Donnerbauer, Justizsprecher der ÖVP, die damals dem Entschluss des früheren Justizministers Dieter Böhmdorfer zugestimmt hat. Davon lässt sich Berger nicht beeindrucken. "Die exakte organisatorische Ausgestaltung wird noch Gegenstand von Gesprächen in der Koalition sein. Faktum ist, dass nicht zwingend Gesetzesänderungen notwendig sind, um die organisatorischen Voraussetzungen für das Jugend-Kompetenzzentrum zu ermöglichen." Das sieht Donnerbauer naturgemäß anders. "Das kann nicht nur die Justizministerin entscheiden. Es braucht ein Gesetz und unsere Stimmen, und die hat sie nicht." Die Grünen begrüßen Bergers Vorstoß, FPÖ und BZÖ sind erwartungsgemäß dagegen.

Abseits der koalitionären Unstimmigkeiten und gesetzlichen Details - was sind die Argumente dafür und dagegen?

Bergers Hauptargument: Jene Institutionen, die für schwierige und/oder kriminelle Kinder und Jugendliche zuständig sind, sollen in einer Einheit zusammengeführt und eng vernetzt werden. "Gerade für jugendliche Straftäter müssen spezielle Maßnahmenpakete geschnürt werden, die auf Prävention, Sozialarbeit und Resozialisierung abzielen. Anderenfalls führt der Weg - mangels anderer Perspektiven - meist schnurstracks in Richtung Wiederholungstat und professionelle Kriminalität." Die Wichtigkeit dieser Bündelung von Jugendrichtern, Sozialarbeitern, Jugendgerichtshilfe, Psychologen, Pädagogen und Jugendamt betont auch Udo Jesionek, letzter und langjähriger Präsident des Jugendgerichtshofes und Vordenker in diesem Bereich. Es gehe auch um den informellen Kontakt, der für den Richter viel Background-Wissen bringe, ergänzt Norbert Gerstberger, Jugendrichter am Landesgericht für Strafsachen Wien und Obmann der Fachgruppe Jugendrichter in der Richtervereinigung. Die Jugendgerichtshilfe, die für den Richter die soziale Anamnese des Angeklagten erstellt, sei nun für das Landesgericht und für zwölf weitere Bezirksgerichte zuständig und das mit knappen Personalressourcen. Das ist nur ein Teil der erfolgten Zersplitterung aller zuständigen Stellen.

In der heutigen Zeit der schnellen Kommunikationswege sei das kein Argument mehr, entgegnet Donnerbauer. Zudem: "Es gibt spezielle Jugendrichter, wozu diese Sonderreglung in Wien?" Nach Jesioneks Meinung sollte es auch keine Extraregelung bleiben, es soll bundesweit eigene Jugendgerichte in Ballungsräumen geben. Auch Berger plant ein zweites in Westösterreich. Die befürchteten Mehrkosten müsste die Sache wert sein, so Jesionek und fügt ironisch hinzu: "Natürlich, man kann Kinderkliniken auflösen, die Kinder zu den Erwachsenen legen …"

Das nächste Problem: Die Justizanstalt Josefstadt, wohin jugendliche Straftäter nach der Schließung der Justizanstalt Erdberg übersiedeln mussten, bietet laut Justizministerium keine optimale Betreuung für jugendliche Insassen. Das Gefängnis ist überfüllt, es gibt zu wenig Personal. "Sechs Jugendliche teilen sich einen Haftraum, sie sind aus Personalmangel von Freitagnachmittag bis Montagfrüh eingesperrt." Eine wirksame Resozialisierung sei nicht möglich. Es kam zudem zu einigen Vergewaltigungen von jungen Insassen durch Mithäftlinge. Dies bestätigt Gerstberger.

In einer Studie (mittels qualitativer Befragung) des Institutes für Strafrecht und Kriminologie Wien wurden 2004 diese Mängel (zu wenig Beschäftigungsmöglichkeit, zu wenig psychosoziale Betreuung) erhoben. Der schlechte bauliche Zustand der Justizanstalt Erdberg wurde von Böhmdorfer als Argument für die Schließung gleich des ganzen Gerichtshofes angeführt.

Noch offen ist die Rangfrage: Wird der Jugendgerichtshof als eigener Gerichtshof re-etabliert oder eine eigene Abteilung innerhalb des Landesgerichts? Für Jesionek im Grunde egal, obwohl er ersteres bevorzugt. "Wichtig ist, dass Richter nicht von einem Tag auf den anderen versetzt werden können." Gerstberger verweist auf die Trademark, die der Jugendgerichtshof früher gehabt hat. Er plädiert daher für einen eigenen Gerichtshof. "Nur ein solcher kann Schwunggeber für rechtspolitische Anliegen in der Jugendgerichtspflege sein."

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