Don Bosco lockt mit Fußball

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"Fußball für Straßenkinder" schafft sportliche und vor allem berufliche Perspektiven in Brasiliens Slums.

Kann Fußball das Leben eines Kindes völlig umkrempeln? Auf diese Frage weiß Fabio auf Anhieb keine Antwort. Doch wenn der kleine Brasilianer auf dem großen Sportplatz des Don Bosco Zentrums "Casa de Abrigo" das runde Leder geschickt um die Beine seiner Gegner herumdribbelt, ist er völlig in seinem Element. Und wenn man den 12-Jährigen fragt, was er werden will, kommt die Antwort wie aus der Pistole geschossen: "Fußballer wie Ronaldinho!"

Seit zwei Monaten lebt Fabio im Zentrum für Straßenkinder der Salesianer Don Boscos im ostbrasilianischen Belo Horizonte. Eine Einrichtung, die unter anderem durch die aktuelle Kampagne "Fußball für Straßenkinder" von Jugend Eine Welt - Don Bosco Aktion Austria gefördert wird (siehe Kasten).

"Hier ist es besser als auf der Straße", sagt Fabio, "ich kriege zu essen und muss nicht draußen übernachten." Zwar gibt es manchmal auch Streit mit den anderen 19 Kindern, die derzeit im Don Bosco Zentrum wohnen - das Zusammenleben will gelernt sein. Cleusa, Sozialarbeiterin bei den Salesianern Don Boscos: "Für Straßenkinder ist es nicht einfach, Regeln zu akzeptieren. Draußen haben sie mehr Freiheit. Zudem kommen alle aus Familien, in denen Konflikte mit Gewalt gelöst werden." Im Don Bosco Zentrum lernen die Kinder, zu festen Zeiten zu essen, zu schlafen sowie friedlich miteinander umzugehen. Dabei spielt der Fußball in der "Casa de Abrigo" eine wichtige Rolle. "Kinder wie Fabio, die nicht still sitzen können, werden beim Fußball ihre Aggressionen los." Und vielleicht schaffen sie damit endgültig den Absprung von der Straße, hofft Cleusa.

Fußball als Ausstiegshilfe

Diese Chance würde es ohne das runde Leder nicht geben. Fußball war der Grund, warum Fabio überhaupt den Weg von der Straße in das Heim fand. Ein prügelnder Stiefvater trieb den Kleinen aus dem Haus. Seine Mutter hatte ihn mit ihrem Lebensgefährten zurückgelassen, um sich einen Job in der Hauptstadt Brasilia zu suchen. "Eines Tages schoss der Bekannte meines Stiefvaters mir ins Bein. Da bin ich abgehauen." Zwei Jahre hauste er am Stadtrand, musste sich gegen Jugendbanden, Diebe und Polizeirazzien verteidigen. "Wenn ich Hunger hatte, klopfte ich an die Tür von Leuten und bettelte." Eine Zeitlang lebte er von Botengängen für Drogenkuriere. "Doch die Polizei war hinter mir her. Ich hatte immer Angst, dass die mich erwischen."

Dem Lockruf des Fußballs konnte Fabio nicht widerstehen. Streetworker kamen mit einem Ball vorbei, kickten mit dem Straßenjungen und erzählten ihm vom Don Bosco Zentrum. Und irgendwann fuhr Fabio dann sogar mit dorthin.

Fabio ist eines von etwa 2.700 Kindern, die in Belo Horizonte auf der Straße leben. In ganz Brasilien wird ihre Zahl auf zehn Millionen geschätzt. Die meisten stammen aus Favelas, den brasilianischen Armenvierteln, in denen Drogen, Gewalt und Armut den Alltag bestimmen. Typische Verhaltensmerkmale dieser Kinder sind Hyperaktivität, Depressionen, Verhaltensstörungen und andere psychosoziale Krankheiten. Diese werden durch den aus Angst, Schutzlosigkeit und Ausgeliefertsein gespeisten permanenten Druck hervorgerufen. Die Straßenkinder sind ständig Gewalt, Kriminalität, Drogen, Korruption und sexuellem Missbrauch ausgeliefert. Zum psychischen Druck kommen die körperlichen Leiden. Das Leben der Straßenkinder ist mangels medizinischer Versorgung, sauberem Trinkwasser und ausreichend Nahrung kurz. Drogen leisten den restlichen Beitrag zum körperlichen Verfall. Geschlechtskrankheiten sind besonders häufig bei den 14 bis 16-jährigen, die aids-Gefahr sehr hoch.

Schließlich können die Kinder und Jugendlichen auf der Straße nicht einmal auf den Schutz der Polizei zählen. Im Gegenteil: Der Großteil der Polizisten Brasiliens ist eine Bedrohung für die Minderjährigen. Sie quälen die benachteiligten Kinder und Jugendlichen oder nehmen ihnen das wenige Geld, das sie haben, als Schutzgeld weg. Mädchen werden vergewaltigt, viele Straßenkinder einfach getötet. Erst als Medienberichte über Lynchmorde an acht schlafenden Straßenkindern in Rio de Janeiro Mitte der 1990er Jahre um die Welt gingen, wurden die Täter, Militärpolizisten, rechtmäßig verurteilt. Die Hintermänner aus Politik und Wirtschaft, blieben jedoch unbehelligt. Trotz mehr Aufmerksamkeit der Presse gibt es die willkürliche Ermordung von Straßenkindern durch Polizisten noch immer. Täglich sterben vier bis fünf Jugendliche auf Brasiliens Straßen eines nicht natürlichen Todes.

Niemand traut sich in Slums

Offiziell sind in Belo Horizonte nur 15 Prozent der Menschen arbeitslos. "Doch die Favela-Bewohner werden nicht mitgezählt. Denn niemand traut sich in die Slums", sagt der langjährige Projektpartner von Jugend Eine Welt, Bruder Raymundo Mesquita, Leiter der Don Bosco Zentren in der Stadt. "Fast alle Familien sind mittellos oder schlagen sich mit Gelegenheitsjobs durch, die gerade zum Überleben reichen. Also gehen die Kinder auf die Straße, um Geld zu beschaffen." 4,5 Millionen Kinder unter zwölf Jahren müssen arbeiten und eine halbe Million Kinder werden zuhause durch Arbeit ausgebeutet. "Es gehört enorm viel Mut dazu, das eigene Zuhause - sei es auch noch so schlecht - zu verlassen, um auf der Straße zu leben!", sagt Bruder Mesquita.

Der typische Tag eines Straßenkindes besteht aus Herumstreunen, an Klebstoff schnüffeln und betteln. Die Größeren lernen den Kleineren das Stehlen. Die brasilianischen Behörden sperren die Straßenkinder einfach in Heime. Die älteren Jugendlichen werden in Erwachsenengefängnisse gesteckt, wo sie mit noch mehr Gewalt und Kriminalität konfrontiert werden. "Wenn sie rauskommen, sind aus armen und gewalttätigen Kindern arme und gewalttätige Erwachsene geworden", kritisiert der Ordensmann und Kinderrechtsaktivist.

Schon Don Bosco

Die Salesianer Don Boscos verfolgen andere Ziele. Und dabei hilft den Partnern von Jugend Eine Welt die Fußball-Begeisterung der Brasilianer. Schon Don Bosco im italienischen Turin des 19. Jahrhunderts hat im Ballspiel die geeignete Sportart für die Arbeit mit den Jugendlichen gesehen. Für Don Bosco waren Freude, Bewegung und Spiel wichtige Eckpfeiler in der Persönlichkeitsentwicklung junger Menschen. Seither hat jedes Zentrum der Salesianer Don Boscos in 130 Ländern weltweit einen Sportplatz. Bruder Mesquita: "Beim Fußball lernt man Teamgeist und fairen Umgang mit dem Gegner. Man lernt aber auch den Schiedsrichter zu respektieren und mit Niederlagen umzugehen. Alle freuen sich gemeinsam über einen Sieg." Doch nur mit Sport ist die Aufgabe des Ordens nicht erfüllt. "Wir ermutigen die Kinder, zur Schule zu gehen oder eine Ausbildung zu machen", ergänzt der Salesianer, der für seine Arbeit bereits mit Preisen, unter anderem der unicef, ausgezeichnet wurde.

Es hat aber nicht jeder das Zeug zum Profi-Fußballer. Deshalb hat Bruder Mesquita ein Jobvermittlungsprogramm für Jugendliche aus Favela-Familien gestartet. 27.000 Mädchen und Burschen haben die Salesianer Don Boscos damit Arbeit beschafft. "Aber Fußball ist immer der erste Schritt, mit dem wir die Kids begeistern." Dies hat zum Beispiel Anderson geholfen. Mit acht Geschwistern wuchs der heute 33-Jährige in einer Favela im Osten von Belo Horizonte auf. Dann hörte er von den Freizeitaktivitäten im Don Bosco Jugendzentrum, und kam darüber zu seinem ersten Job. Heute ist er zweifacher Vater und organisiert neben seiner Arbeit Fußballcamps für die Jugendlichen im Armenviertel.

"Bei uns Brasilianern ist Fußball pädagogisch viel wirksamer als sonst wo!", meint Bruder Mesquita, "denn alle Kinder in Brasilien wollen Fußball-Star werden." Für Fabio aus der "Casa de Abrigo" sind das Zukunftsträume. Doch zumindest hat er nun, was den meisten Kindern in den Favelas fehlt - eine Perspektive.

Die Autorin ist Pressesprecherin von Jugend Eine Welt

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