Der Fuchs und der Wolf

Werbung
Werbung
Werbung

Sie redete ohne Punkt und Komma und ließ mich kaum nachfragen. Sie wolle mir nur mitteilen, daß Sie jetzt endgültig aus der evangelischen Kirche austreten werde. "Warum wollen Sie austreten?" "Weil ich es satt habe, daß diese Kirche ein Sozialamt ist." "Was möchten Sie denn, daß die Kirche ist?" "Ich brauche Mystik und Magie, und die finde ich in dieser evangelischen Kirche nicht."

In der Frage Sozialamt oder Mystik taucht ein alter Gegensatz auf, die Frage nach dem geerdeten Alltag auf der einen Seite und nach dem Transzendenten auf der anderen. Die Frage nach der Nahrung für den Leib und der für die Seele. Bei Jesus erfahren wir, daß beides zusammengehört.

Unter den vielen, die heute mehr als satt sind, gibt es welche, die verstärkt nach seelischer Nahrung fragen. Was haben wir denen anzubieten? Wie wäre es mit folgender alter Fabel, die zwar nicht in der Bibel steht, aber trotzdem gut ist: An einem heißen Augusttag hatte der Fuchs großen Durst. Da kam er zu einem Ziehbrunnen, sprang in einen Wassereimer und verschwand im Brunnen. Er trank und trank, dann aber sagte er sich: "Oh, ich Narr, wenn jetzt der Bauer kommt, dann bin ich ihm ausgeliefert." Er dachte nach: "Den ersten Esel, der hier vorbeikommt, den überrede ich, in den anderen Eimer zu springen. So kommt er hinunter, und ich geh hinauf."

Bald darauf kam der Wolf vorbei. Da rief der Fuchs von unten: "He Freund, ich bin in den Brunnen gestiegen, um zu trinken, jetzt bin ich hier ganz allein. Komm doch auch runter, dann leisten wir uns Gesellschaft. Hier unten ist es schön kühl. Es ist einem richtig wohl!"

"Aber wie komm ich denn runter?" fragte der Wolf. "Schau, dort ist ein Eimer, spring hinein und komm zu mir runter." Der arme Wolf - er war schon immer naiv gewesen - sprang in den Eimer, und während er in den Brunnen hinunterfuhr, fuhr der Fuchs hinauf. Als der Wolf allein unten saß, fragte er: "Was soll ich jetzt hier?"

Der Fuchs antwortete: "Schau selber, wie du zurechtkommst. Ich bin frei. Mir ist jetzt kühl genug!" Und fröhlich pfeifend machte ersich auf den Weg zum Hühnerstall.

Luise Müller ist Superintendentin der evangelischen Diözese Salzburg und Tirol.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung