Körtner - © imago / epd

Ulrich H. J. Körtner: Die Felder abstecken

19451960198020002020

Der in Wien lehrende reformierte Theologe  Ulrich H. J. Körtner legt in einem Buch „wissenschaftsbiographische Einblicke“ vor.

19451960198020002020

Der in Wien lehrende reformierte Theologe  Ulrich H. J. Körtner legt in einem Buch „wissenschaftsbiographische Einblicke“ vor.

Werbung
Werbung
Werbung

Er gehört in Österreich – und jedenfalls in seiner Kirche auch in Deutschland – zu den herausragenden Stimmen öffentlicher Theologie. Das ist für Österreich insofern überraschend, als Ulrich H. J. Körtner seit 1992 den Lehrstuhl für Systematische Theologie H.B. an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Uni Wien innehat, also den Reformierten angehört, die in Österreich nur etwas mehr als 11.000 Mitglieder zählen. Aber als (Medizin-)Ethiker (Ethik gehört im protestantischen Bereich zur Systematischen Theologie) ist er auch hierzulande bei vielfältigen gesellschaftspolitischen Fragestellungen präsent.

Dass er 2001 zum Wissenschafter des Jahres gewählt wurde, zeugt ebenso von Körtners Präsenz in der Öffentlichkeit wie auch in zahlreichen pointierten Beiträgen in vielen Medien, nicht zuletzt in der FURCHE, für die er einige Jahre auch als Religions-
kolumnist tätig war. Körtner selbst bezeichnet sich in Bezug auf diese Tätigkeiten als „Gelegenheitsschriftsteller“, der sich den „Anfragen und Herausforderungen stellt, die in unterschiedlichen Zusammenhängen“ an ihn gerichtet würden.

Ein „Gelegenheitsschriftsteller“

Diese Selbstcharakteristik findet sich in den „Wissenschaftsbiographischen Einblicken“, die Körtner unter dem Titel „Mapping the Fields“ herausgegeben hat. Wer einen Blick ins Werden und Denken des nun mehr als 30 Jahre in Wien wirkenden Theologen gewinnen will, wird in dem aus schon früher publizierten Beiträgen kompilierten Buch mehr als fündig.

Den wichtigsten Eckpunkten des kirchlichen und theologischen Lebenslaufs des Autors folgt eine geschichtliche Darstellung des reformierten Theologie-Lehrstuhls an der Evangelischen Fakultät Wien, den es seit 1822 gibt. Körtner stellt in Kurzporträts auch die Lehrstuhlinhaber vor, die schon seit den Zeiten von Kaiser Franz I. die Reformierten (teilweise in der Tradition des Neocalvinismus), die im ungarischen Teil der Habsburgermonarchie weitaus stärker als in den österreichischen Ländern verankert waren, auch in der Hochschultheologie repräsentierten. Den Lehrstuhl gibt es eben bis heute, auch wenn die Evangelischen H.B. hierzulande eine kleine Minderheit bilden.

In den anderen Beiträgen entfaltet sich Theologie, der sich Körtner verschrieben hat, wobei er auch betont, dass nicht nur reformierte, sondern auch lutherische Theologie in seinem Denken verankert ist. Am spannendsten zu lesen ist die Auseinandersetzung Körtners mit Dietrich Bonhoeffer, den er gleichermaßen als Vorbild sieht und dennoch in kritischer Distanz bleibt, weil er das Werk des von den Nazis ermordeten Theologen als uneindeutig und nicht immer zu Ende gedacht identifiziert. Aber insbesondere in der Ethik, bekennt Körtner, hat er von Bonhoeffer „Entscheidendes gelernt“.

Ein weiterer Beitrag erläutert die von Körtner herausgebrachten Dogmatik-Lehrbücher, weiters schreibt er über die von ihm mitbegründete Rudolf-Bultmann-Gesellschaft: Der Exeget und hermeneutische Theologe Bultmann (1884–1976) wird von Körtner ebenso wie Karl Barth (1886–1968) wiederholt als theologischer Vorfahre dargestellt. Schließlich referiert Körtner über das interdisziplinäre „Institut für Ethik und Recht in der Medizin“, an dessen Aufbau und Leitung er bis 2022 maßgeblich beteiligt war.

Wer Ulrich Körtner kennt, weiß, dass er auch für seine Kirche ein kritischer Querkopf sein kann, der mit schmerzender Diagnose nie hinterm Berg hält. Der letzte Beitrag in „Mapping the Fields“ über „Theologie in der Krise – Theologie für die Krise“ aus 2022 ist ein Paradebeispiel dafür. Körtner definiert Theologie darin als eine „wartende“ – und zwar wartend „auf den Einbruch Gottes in die je neue Welt“. Speziell an diesen Ausführungen wird klar, was Wien, aber auch das Christentum jedweder
Konfession an diesem Theologen hat.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung