
Ernst Troeltsch: "Meine Herren, es wackelt alles"
Vor 100 Jahren starb der evangelische Theologe Ernst Troeltsch. Eine Erinnerung an den Dogmatiker der religionsgeschichtlichen Schule, der heute wieder relevant ist.
Vor 100 Jahren starb der evangelische Theologe Ernst Troeltsch. Eine Erinnerung an den Dogmatiker der religionsgeschichtlichen Schule, der heute wieder relevant ist.
"Meine Herren, es wackelt alles.“ Mit diesen Worten soll der junge Ernst Troeltsch im Jahre 1896 die theologische Lage der Gegenwart kommentiert haben. Wie auch immer es um den Wahrheitsgehalt dieser Anekdote bestellt sein mag, sie signalisiert, dass die akademische Theologie auf schwachen Füßen steht.
Angesichts der voranschreitenden Modernisierung der Gesellschaft, des Siegeszugs der modernen Naturwissenschaften sowie des zunehmenden Bewusstseins um die historische Relativität aller geschichtlichen Normen und Wahrheiten könne eine sich als Wissenschaft verstehende Theologie nicht mehr so tun, als sei mit der Behauptung einer Offenbarung Gottes in der Geschichte schon alles gesagt. Das Postulat einer dem geschichtlichen Geschehen enthobenen christlichen „Sonntagskausalität“ ist unter den Erkenntnisbedingungen der Moderne unerschwinglich geworden. Wenn alles wackelt, bedarf es, statt einer bloßen Behauptungstheologie, einer Theologie, die wirklich Wissenschaft ist und nicht nur so tut.
Keine übernatürlichen Postulate
Ernst Troeltsch wurde am 15. Februar 1865 in Haunstetten bei Augsburg geboren und wuchs in einem humanistisch gesinnten bürgerlichen Elternhaus auf. Schon früh interessierte er sich für die Konsequenzen, welche die moderne geschichtliche Weltauffassung für die christliche Religion hat. Nach dem Besuch des Gymnasiums St. Anna in Augsburg studierte er ab 1884 protestantische Theologie in Erlangen und Berlin. Zwei Jahre später wechselte er nach Göttingen, um bei Albrecht Ritschl zu hören, einem der einflussreichsten protestantischen Theologen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
Signifikant für Ritschls Theologie und die seiner zahlreichen Schüler ist eine Grundlegung der Theologie in der Offenbarung Gottes in Jesus Christus sowie einer vollständigen Ausscheidung der Metaphysik aus der Theologie. Prägend für Troeltschs eigene Theologie nach dem Studium wurde ein Kreis junger Privatdozenten an der Göttinger Fakultät, der unter dem Namen „religionsgeschichtliche Schule“ in die Geschichte eingegangen ist.
Anders als ihr Lehrer Ritschl votierten die Jüngeren für eine konsequente Einordnung der christlichen Religion in die Religionsgeschichte. Nur durch eine Historisierung, welche auf alle übernatürlichen Postulate verzichtet, lassen sich, so ihre Auffassung, das Christentum, seine Entstehung und Entwicklung verstehen.
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