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Im Dienst des Glaubens

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Die gesellschaftliche Relevanz einer theologischen Fakultät kann einmal vom Selbstverständnis der Theologie, dann aber auch aus der Perspektive der pluralistischen Gesellschaft betrachtet werden. Theologie, mit Karl Rahner verstanden als „das reflektierende, methodisch geleitete Erhellen und Entfalten der im Glauben erfaßten und angenommenen Offenbarung Gottes”, ist eo ipso eine Heilslehre für die eine Gesellschaft konstituierenden Menschen; Gesellschaft begriffen als funktionierendes Interaktionssystem zwecks Befriedigung grundlegender sozialer Bedürfnisse. Als solche Heilslehre wird Theologie besonders dort sichtbar, wo der Mensch eine einzigartige Rolle spielt. Nach christlicher Lehre ist der Mensch ein nach dem Bild und Gleichnis Gottes geschaffenes Wesen, Krone der Schöpfung mit dem Auftrag, in schöpferischem Tun diese Erde verantwortungsvoll zu menschlicher Wohnstätte zu gestalten. Der Mensch ist nach dieser Lehre ferner Bruder oder Schwester Jesu Christi, der selbst Mensch geworden Leiden und Tod ertrug, um in seiner Auferstehung neues, ewiges Leben zu garantieren und zu sagen, daß Unrecht, Leid und Tod nicht das Letzte sind, sondern die Teilnahme am Leben des dreifältigen Gottes.

Daß es sich für eine Gesellschaft lohnt, eine solche Heilslehre mit all ihren Vor- und Nachfragen einem reflektierenden, methodisch geleiteten Erhellen und Entfalten zu unterziehen, ist unschwer einzusehen. Warum aber in Organisationsform einer eigenen theologischen Fakultät? Hiefür seien zwei Argumente besonders hervorgehoben: Erstens die Tatsache, daß die theologisch Lehrenden und Lernenden in der positiv verstandenen Kontakt-, ( Konfrontatidris-’ünd Kohkurrėnzsi- ‘ tuation zu anderen Fakultäten ihr methodisch geleitetes Erhellen und Entfalten schärfen und vervollkommnen können, zweitens, daß trotz der Nachteile der Bürokratisierung die wissenschafts-ökono- mische Infrastruktur einer Universität eine recht gute Voraussetzung zur Erreichung dieser Zielsetzung darstellt.

Die positiv gemeinte Relevanz ei- jier theologischen Fakultät wird aus der Perspektive der pluralistischen Gesellschaft in der Beantwortung vor allem zweier Fragen zu suchen sein:

• Wieso kommt eine pluralistische Gesellschaft dazu, der Theologie eine oder mehrere „kost”spielige Universitätsfakultäten als Infrastruktur zu „liefern”?

• Was hat das methodisch geleitete Erhellen und Entfalten einer „Offenbarung” an einer Institution „verloren”, die „wissenschaftlich - wertfrei” allgemein einsichtige Wahrheiten, also nicht an „Glauben” Gebundenes erforschen soll?

Die demokratisch-pluralistische Gesellschaft lebt aus einer Vielheit und Vielfalt von Gruppen, die letztlich der Befriedigung grundlegender Bedürfnisse und Interessen dienen. Zu solchen grundlegenden Bedürfnissen gehört nun einmal das Bemühen, eine globale, das hic et nunc Faßbare übersteigende Antwort zu finden auf existenzielle Fragen des Menschen, die Frage nach dem Sinn des Lebens und des Todes, einfach die Frage nach Transzendenz und nach Gott. Dieses Fragebündel nach Transzendenz und hach Gott existiert nun einmal und äußert sich besonders deutlich in individuellen und kollektiven Formen der Religion, ein Phänomen, an dem sich allen Prognostikern des Absterbens der Religion in der modernen Gesellschaft zum Trotz auch in Zukunft nichts Prinzipielles ändern wird. Aus der Perspektive der demokratischen Gesellschaft kann man formulieren, daß die Frage nach Transzendenz und nach Gott für die Gesellschaft viel zu wichtig ist, als daß man über sie nicht auch institutionell-wissenschaftlich im Rahmen einer Universität reflektiert, und zwar in jener Form, die sich infolge des religiösen Bekenntnisses der Staatsbürger und aus der geschichtlichen Entwicklung ergibt. Dem Staat kann man diesbezügliche „Kosten” zumuten, zumal die religiöse Sinndeutung von Mensch und Welt immer noch ein ausgezeichnetes Fundament menschenwürdigen Zusammenlebens in Staat und Gesellschaft ist.

Zur Wert- und Glaubensgebundenheit der Theologie: Bertrand Russel, einer der konsequentesten Vorkämpfer des Rationalismus, stellt fest, daß die auf Sinneserfahrung zurückgehenden Erkenntnisse in Grundaxiomen begründet sind, deren Wahrheit auf „Glaubensannahmen” (beliefs) im Sinn von „wissenschaftlich” nicht weiter begründbaren Einsichten beruht. Es kommt also keine Wissenschaft ohne Glauben aus, ohne Glauben an Aprioris und an das Ganze, ohne Glauben an die Wertbasis und den Wertrahmen. So gesehen, besteht zwischen der Theologie und den anderen Wissenschaften hinsichtlich der Wertgebundenheit kein prinzipieller, sondern nur ein gradueller Unterschied, welcher dadurch gerechtfertigt ist, daß die Methode doch auch von der Eigenart des Gegenstandes mitbestimmt ist, wobei unzweifelhaft feststeht, daß der Gegenstand der Theologie einer von ganz besonderer Art ist. In diesem Verständnishorizont kann eine theologische Fakultät wichtige Gesellschaftsfunktionen erfüllen, von denen zwei herausgehoben werden sollen: Eine ^theologische Fakultät kann durch ihre Präsenz- und vor allem durch die wissenschaftliche Qualität ihrer Lehrenden und Lernenden ein Hinweis auf die Bedeutung des Glaubens als notwendige Voraussetzung und Ergänzung menschlicher „Rational-Erkenntnis” sein. Eine theologische Fakultät kann ferner durch bewußte Artikulation ihrer Wertprämissen sowie durch in allgemein überprüfbaren Systemsätzen artikulierten Konkretisierungen der Wertorientierungen einer von der Wertanarchie und vom Wertnihilismus immer wieder bedrohten Gesellschaft gute Dienste leisten. Solche Wertverpflichtungen sind, wie bereits vermerkt, nichts prinzipiell Besonderes. Steht doch auch die juridische Fakultät „im Dienste” des Rechts; die medizinische „im Dienste” der Gesundheit.

H Albert, der bekannte Vertreter des kritischen Rationalismus, zitiert gleichsam programmatisch den von H. Gom- perz stammenden Ausspruch: „Vom Gesichtspunkt der Gesellschaft, ja der Menschheit aus betrachtet, liegt die letzte Rechtfertigung der Wissenschaft darin, daß sie tätiger Anwendung fähig ist.” So gesehen ergibt sich die gesellschaftliche Relevanz und Rechtfertigung einer katholisch-theologischen Fakultät wesentlich aus der Theologie als einer der methodischen Reflexion zugänglichen und tätigen Anwendung fähigen Heilslehre für den Menschen. Im Blick auf eine Welt mit viel Unrecht in Vergangenheit, Gegenwart und voraussehbarer Zukunft wird man für die christliche Theologie formulieren dürfen: Die Kritik aller Unrechtssysteme endet mit der Lehre, daß der Gottmensch Jesus Christus das höchste Wesen für den Menschen sei, also mit dem kategorischen Imperativ, in seinem Auftrag und in seiner Kraft alle Verhältnisse umzugestalten, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist.

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