War Johannes der erste Evangelienschreiber?

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Wer meint, in der Bibelwissenschaft seien alle großen Fragen geklärt, wird vom Neutestamentler Klaus Berger eines besseren belehrt. In seinem Buch "Im Anfang war Johannes" stellt Berger, evangelischer Bibelwissenschaftler in Heidelberg, das Johannesevangelium an den Beginn der Evangelientradition. Bislang betrachtet die Mehrzahl der Forscher das Markusevangelium als älteste Schrift dieses Genres, gefolgt von Matthäus und Lukas. Johannes, nach gängiger Meinung um das Jahr 100 entstanden, ist der letzte in der Reihe. Als Begründung wird die ausgereifte Theologie von Johannes genannt, die auf eine späte Abfassung hinweisen soll und dem Johannesevangelium schon früh den Ehrennamen des "geistigen" Evangeliums eintrug. Berger beklagt, daß mit der Datierung die inhaltliche Abqualifizierung einhergeht. Deswegen plädiert er für eine "Ökumenische Komplementarität" zwischen Johannes und den anderen Evangelisten. Das Johannesevangelium, nach Berger gegen Ende der sechziger Jahre des 1. Jahrhunderts entstanden, sei Quelle für ein zuverlässiges Bild von Jesus, gleichrangig den Markus-Traditionen, die bisher absolute Geltung und Priorität in der Forschung genossen.

So beurteilt Berger die Äußerungen gegenüber Juden (Joh 8), die wegen ihrer Heftigkeit als letzte Stufe einer Auseinandersetzung gedeutet werden, als Ausdruck einer frischen Wunde. Das spreche wiederum für eine frühe Datierung, denn nur in diesen Jahren "konnte die Trennung von der Synagoge so gravierend empfunden werden".

Neben der zeitlichen Vorrangstellung vertritt Berger die Einheitlichkeit des Evangeliums. Die Einteilung in "Schichten", die von den Johannes-Auslegern bisweilen recht exzessiv vorgenommen wird, resultiert für ihn aus der "Fremdheit des Textes". Nach Berger versucht das Gros der Exegeten ein Auslegungsproblem durch Aussagen über die Entstehung des Evangeliums zu lösen. Der Intention des Evangelisten gelte es aber mit Hilfe der scheinbaren Brüche auf die Schliche zu kommen. Durch diese Absolutsetzung des Erklärens des Textes gegenüber jeder Literarkritik, können die Diskrepanzen, die gegen ein Johannesvangelium aus einem Guß sprechen, aber auch bei Berger nur bedingt gelöst werden.

Der Wert des Buches liegt im Einmahnen, daß das Johannesevangelium gleichrangig wie die anderen Evangelien rezipiert werden sollte. Daneben gibt es reiches Material zur "johanneischen Frage" (Verfasser, Ort, Identität des Lieblingsjüngers, ...). Auf alle Fälle lädt die Lektüre zum Überdenken des eigenen Umgangs mit der Verschiedenheit der Evangelien ein.

Im Anfang war Johannes.

Datierung u. Theologie des vierten Evangeliums. Von Klaus Berger. Quell Verlag, Stuttgart 1997. 312 Seiten, geb., öS 350,-.

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