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Tropfen auf den heißen Stein

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Dies scheine, so führte der Redner aus, denjenigen normal, die der Ansicht seien, daß sich im Jahre 2000 die Bevölkerung aus 50 Millionen Städtern und nur 12 Millionen Landbewohnern zusammensetzen würde. Die Landwohnungen sind fast überall weitgehend überbelegt. Der Prozentsatz der Überbelegung wird mit 14,7 gegen 11,7 in den Städten ange- gegeben. Darüber hinaus ist ein sehr bedeutender Teil der Land Wohnungen in einem schlechten Zustand. Während in den Städten 22 Prozent der Wohnungen vor 1871 erbaut wurden, stellt sich die Vergleichszahl auf dem Lande auf 51 Prozent. Der Prozentsatz unhygienischer und stark mitgenommener Wohnungen beträgt in den Städten 14 und auf dem Lande 32. Um dieser Misere abzuhelfen, forderte der Verband die

Errichtung von jährlich 100.000 neuer und die Instandsetzung von weiteren

100.0 Wohnungen auf dem Lande. Im Jahre 1965 wurden mit Staatshilfe insgesamt 54.600 neue Landwohnungen erbaut. Dies bedeutet zwar gegenüber dem vergangenen Jahr eine Progression um zwölf Prozent, wirkt sich aber im Endeffekt wie ein Tropfen auf dem heißen Stein aus.

Während ein Käufer im Jahre 1961 für eine 66 Quadratmeter große Wohnung im Werte von 35.000 bis

40.0 Franc nur 15.000 Franc anzuzahlen brauchte — für die Hälfte dieser Summe konnte er einen Kredit aufnehmen, der sehr billig oder völlig zinsenlos war —, muß er für eine entsprechende Wohnung heute mindestens 30.000 bis 40.000 Franc auf den Tisch legen. Ihr Gesamtwert beträgt unter den gegenwärtigen Verhältnissen mindestens 70.000 bis

80.0 Franc. Der Interessent muß Bankkredite mit der Verpflichtung aufnehmen, monatlich 600 bis 650 Franc zurückzuzahlen. Generell kann man sagen, daß sich heute eine Wohnung auf dem Lande dreimal so hoch stellt wie vor fünf Jahren. Wenn man berücksichtigt, daß nur 22 Prozent der Landwirte über ein Jahreseinkommen von mehr als 17.200 Franc verfügen, während 78 Prozent jährlich unter 1500 Franc verdienen, wird man verstehen, daß die meisten nicht in der Lage sind, eine neue Wohung zu erwerben.

Acht Millionen Wohnungen ohne Toilette

Heute sind vier Millionen Wohnungen in Frankreich älter als 100 Jahre. Vier Millionen verfügen nicht über fließendes Wasser und acht Millionen haben keine Toilette. Minister Pisani hat sich das Ziel gesetzt, vom Jahre 1970 ab jährlich

200.0 Wohnungen zu renovieren und den neuzeitlichen Bedingungen anzupassen. Die Franzosen hören die Botschaft, doch es fehlt ihnen der rechte Glaube, weil sie wissen, daß der Staat am Vorabend der Wahlen immer Versprechungen abzugeben pflegt, die erfahrungsgemäß nicht immer eingehalten werden. Vorerst rechnet man mit Sicherheit für längere Zeit mit einer Rezession auf dem Baumarkt, und kein Mensch glaubt, daß im Bereich des Wohnungswesens in absehbarer Zeit das normale Spiel von Angebot und Nachfrage einen Zustand beenden könnte, der — gelinde ausgedrückt — als skandalös bezeichnet werden muß. In Frankreich hat man sich daran gewöhnt, den Besitz einer eigenen Wohnung als einen Luxus- zu betrachten, der nur vermögenden Bevölkerungsschichten zugänglich ist. Der soziale Wohnungsbau fällt nur in einem geringen Umfang ins Gewicht.

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