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Ein Wunder aus Österreich

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Was noch vor wenigen Jahren nicht einmal als gelungener Scherz aufgefaßt worden wäre, ist großartige Wirklichkeit geworden. Die Königin der Leichtathletinnen kommt aus — Österreich! Der Griff nach den Sternen, der ihr noch im vergangenen Jahr als vermessen erschienen war, ist Liese Prokop gelungen. Gelungen trotz ungünstiger äußerer Bedingungen vor einem armselig anmutenden Häuflein von 1500 Zuschauern — dennoch viel für österreichische Verhältnisse. Darüber hinaus vermittelte die „silberne Liesl“ noch den Bindruck, daß die derzeitige „Traumgrenze“ im Pentathlon der Damen. 5100 Punkte, für sie durchaus erreichbar ist — bei einer ihr alles abverlangenden Konkurrenz, dem Glück, das dazu gehört, um in mindestens vier der fünf Bewerbe an das Leistungsoptimum heranzukommen, sowie durch die Antriebskraft des Willens, der österreichischen Sportjugend noch einige Zeit als weithin leuchtendes Vorbild erhalten zu bleiben—, wofür trotz der schon mehrmals abgegebenen Rücktrittserklärungen noch gewisse Chancen bestehen. Liese Prokop, eine Spätberufene des Sports, die erst im Alter von zwanzig Jahren mit dem Wettkampf begann, illustrierte nun mit aller Deutlichkeit, daß auch im Land der eng begrenzten Möglichkelten Weltspitzenleistungen zu erzielen sind und widerlegt damit jene auch in der Leichtathletik und mehr noch in anderen Sportarten häufig auftretenden Repräsentanten der Mittelmäßigkeit, deren ständige Ausredenskala fehlende Trainingsmöglichkeiten, mangelnde Förderung und ewiges Pech enthält. Trotz dieser leider existenten und schwerwiegenden Komponenten konnte nun von einer bald dreißigjährigen Hausfrau und Mutter bewiesen werden, daß eiserner Wille und hartnäckiger Fleiß auch solche Mamki besiegen können.

Dieser glorreiche Weltrekord — mag er auch die Europameisterschaften in Athen nicht überdauern — wird als Markstein in der mit Erfolgen nicht verwöhnten Geschichte der österreichischen Leichtathletik bestehen bleiben als Beweisstück unbeirrter Beharrlichkeit, jener dem Österreicher angeblich völlig fremden Energie, auch ohne ideale Voraussetzungen Ideales zu bewerkstelligen. Er dient ferner als Beweis für die hervorragende Vereinsarbeit bei Union-Niederösterreich-Energie, deren Mitglieder Prokop, Gusenbauer und Janko spätestens seit Mexiko zur Weltspitze zählen, als Beweis für die Qualifikation Gunnar Prokops als Spitzentrainer und als Untermauerung der These, daß richtig betriebene Sportförderung auf die Früchte des Erfolgs nicht allzu lange warten läßt.

Liese Prokop, die nach eigener Aussage im Herbst eine zweite Karriere auf anderer Ebene zu starten gedenkt und von der ÖVP an aussichtsreicher Stelle in die Kandidatenliste für den niederösterreichischen Landtag aufgenommen wurde, kann damit die Möglichkeit erhalten, als erster aktiver Spitzensportler in einer gesetzgebenden Körperschaft die Anliegen des Sports, die sie zweifelsohne besser kennen dürfte als viele, die sich kompetent und berufen wähnen, ohne auserwählt zu sein, mit Nachdruck zu vertreten. (Die bereits einsetzenden Unkenrufe von Politikprofis sollten der Sportamateurin nicht allzu nahegehen.) Die Leistung verleiht ihrer Stimme die nötige Autorität in diesen Belangen, so daß berechtigte Aussicht für Frau Prokop besteht, sich gegen vermeintliche Besserwisser durchzusetzen und damit dem österreichischen Sport in ähnlicher Weise dienlich zu sein wie mit dem durch ihre Glanzleistung von Leoben gesetzten neuerlichen Ansporn.

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