"A kleampl a pfuadl a blurz"

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Gert Jonke. Theaterpoet: Zur Uraufführung seines Stücks "Freier Fall" am Akademietheater.

Gert Jonke ist gewiss der experimentellste und poetischste unter Österreichs Theaterautoren. Vielleicht ist er auch der einzige wirkliche Theaterpoet. Seine unverwechselbaren Theaterphantasien sind bisweilen skurril und grotesk und entbehren jeglicher Logik, Erdenschwere und diesseitiger Gewissheiten. Seine überschießende poetische Einbildungskraft treibt ihn in alle Richtungen, er reiht oft eine Kuriosität an die nächste, wobei die Teile sich nur vage zu einem Ganzen fügen lassen, eine Bedeutung kaum festzulegen ist.

Paradox siedelt seine ganz mit Sprache evozierte Welt irgendwo jenseits des sprachlich Auszudrückenden. Er versucht mit Sprache Unsagbares auszusagen, setzt dabei aber gleichzeitig den Begriff außer Kraft. Denn Jonke misstraut der Semantik der Sprache. Er ist aber weniger ein ungestümer Wortschöpfer als vielmehr ein übermütiger Sprachartist und überaus präziser Stilist mit feinem Humor und Gefühl für das Absurde.

Übermütiger Sprachartist

Seine Theatertexte sind weit weg von den traditionellen dramatischen Formen. Offenbar taugen die für die Beschreibung seiner poetischen Sicht der Wirklichkeit nicht. Jonke ist ein Autor mit hellem Bewusstsein für die Kontingenz und Hinfälligkeit des dramatischen Vokabulars. Daher schafft er im wörtlichsten Sinne eigene Welten. Seine Texte oszillieren irgendwie zwischen Phantasie und Wirklichkeit oder sie wirken wie eine aus der Kindheit herübergerettete Welt der unbegrenzten Möglichkeiten, die aufbegehrt gegen die Gesetze der Physik und der Wahrscheinlichkeit.

Das Groteske und Absurde wird von Jonke wie selbstverständlich als Normalität gesetzt. Als kontrafaktische Setzung wider das Wirkliche entziehen sie sich dem überkommenen Sehen und tradierten Verstehen. Man könnte sie Phantasien für das Freibleibende nennen, die lehren, etwas ganz anderes für möglich zu halten.

Im Akademietheater wurde am vergangenen Samstag der "Freie Fall", Jonkes vierzehntes Dramolett, uraufgeführt. Regie führte Christiane Pohle, die an gleicher Stelle zuvor schon seine "Chorphantasie" (2003) und "Die versunkene Kathedrale" (2005) inszeniert hat. Wieder spielt und spricht der wunderbare Markus Hering mit bewundernswerter Genauigkeit und angenehmer Unaufgeregtheit den humorvoll-skurril verschlungenen Beinahe-Monolog. Erich heißt er diesmal und ist ein an der Unerträglichkeit des Lebens leidender und sich daher aus allen Erd- und Menschenzeitaltern herauskatapultierender "Vollkünstler", wie er betont.

Gegenstand seiner Kunst, so ist unzweifelhaft klar, ist die Kunst des Sterbens, und die geht nun mal nicht, halb'. Der nebenbei als Telefonseelsorger und Selbstmordberater mit ziemlich schräger Präventionstheorie Tätige reüssiert als Künstler allerdings nur bedingt. Denn sooft und so kunstvoll er es auch anstellt, er ist zur Wiedergeburt bestimmt. Der gescheiterte Künstler wird immer wieder ins Leben zurückgeworfen, um erneut den (vielleicht) finalen Abgang zu tun. Genussvoll erzählt er von seinen suizidalen Heldentaten aus vergangenen Jahrtausenden (vom Präkambrium über das Mittelalter bis zur Gegenwart), die er alle auf Handys gespeichert hat und die in seinem besonderen Archiv in blauen und durchsichtigen Plastiksäckchen von den Brandschutzmauern des Theaters herunterleuchten.

Suizidale Heldentaten

Die Todesarten reichen über das Sich-selbst-Erfrieren in einem Schneesturm bei Hamburg oder den Blitztod in einem Gewitter bei Mautern bis hin zum beinahe klassischen Tod vor dem Zug bei Graz. Auch mit dem jüngsten und spektakulär, mit viel pyrotechnischem Know-How in Szene gesetzten Sterbeversuch scheitert er kläglich: der umgebaute raketengetriebene Küchenstuhl rast ohne den Lebensmüden gen Bühnenhimmel …

Nur Siedu (Libgart Schwarz), Erichs Lebensmensch, kann dem tödlichen Treiben für einen kurzen Moment Einhalt gebieten. In einer schönen Szene lesen sie sich Poesie von den Körpern, als wären sie Bücher. Doch das Idyll wird jäh zerstört, als die Zukunftspolizei erscheint und die beiden in einer wortreichen und doch unverständlichen Sprache aus dem Paradies in die Wirklichkeit verjagt: "Poteschenske quadrupfl / Poteschatzkii quadrur / A huitl a wuadl a zenz / Azaedl a schrapl a phranz / A kleampl a pfuadl a blurz."

In diesem Sinne, ein weitgehend sinnfreier, aber heiterer und poetischer Theaterabend, dem Pohles Regie wenig Eigenes hinzufügt. Es bleibt die Erkenntnis: der Rätselcharakter der Kunst, er lebt!

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