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Dorf im Packpapier

19451960198020002020

GEOMETRISCHER HEIMATROMAN von G. F. JONKE, Suhrkamp-Verlag, Frankfurt, 143 Seiten, DM 10.—.

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GEOMETRISCHER HEIMATROMAN von G. F. JONKE, Suhrkamp-Verlag, Frankfurt, 143 Seiten, DM 10.—.

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Als Handke seinen ersten Roman „Die Hornissen“ veröffentlichte, war man der Meinung, daß dies ein weiterer Schritt zur Schaffung eines „Nouveau Roman“ im deutschsprachigen Raum sei. Die Methode der Wirklichkeitszertrümmerung, die den Intentionen des klassischen Romans bis Doderer, nämlich dem Bemühen, die Vielschichtigkeit des Wirklichen episch zu fassen, diametral entgegengesetzt ist, scheint tatsächlich in der gegenwärtigen Situation die einzige Möglichkeit, die Wirklichkeit, deren Uberschaubarkeit längst nicht mehr glaubhaft ist, zu bewältigen. Dies ist jedenfalls auch die Prämisse von der Jonke, Jahrgang 1946, ausgeht. Ähnlich wie Handke zerteilt er das Ganze in kleine Bilder, Nahaufnahmen von mikroskopischer Schärfe, bedient sich der Technik der Montage, der Auflösung von Sätzen, verflüchtigt sich nur da und dort in kaf-kaesker Pose ins Surreale, wie etwa in dem Kapitel über die Verputz fressenden Vögel oder die schwarzen Männer, die die Dorfbewohner bedrohen, ohne jedoch damit mehr zustande zu bringen, als märchenhafte Gruselgeschichten, die nicht so recht in den Rahmen der Gesamtkomposition passen.

Die Antithetik, die das Lesen des Buches von vornherein interessant macht, kündigt sich schon im Titel an. In bewußter Anlehnung an die Produkte des heimischen Erzählschatzes erreicht der Autor beim Leser, der mit dem Wort Heimatroman zunächst auf jeden Fall Kuhglockengeläute und den Duft geackerter Scholle verbindet, die gewünschte Verfremdung. Der Dorfplatz, der im Mittelpunkt der 18 Kapitel steht, wird zum engumgrenzten Geviert, zum geometrischen Gefängnis einer eben überschaubaren Wirklichkeit. 7 Dorfplatzkapiteln sind 8 mit der Uberschrift „Bemerkungen zur allgemeinen Situation“ und 3 Intermezzi zwischengegliedert, in welchen, ausgehend vom Dorfplatz, das Leben der Dorfleute ge-schüdert wird, einzelne Typen, wie der Lehrer, der Pfarrer, der Schmied, vorgeführt werden. Der Anspruch der Authentizität wird durch das ständige Verfallen in den Konjunktiv, das Widerrufen des eben Geschehenen aufgegeben und bis zur Farce gesteigert, wenn der Leser zum Schluß aufgefordert wird, „das Dorf in weißes oder andersfarbiges Packpapier, mit oder ohne Fir-meninschrift, einzuwickeln oder zu einem Ellipsoid “mit den Ausmaßen eines herkömmlichen Rugbyballes zusammenzufalten, über eine der Schultern oder durch eine der Achselhöhlen hindurch zehn oder mehr oder weniger Meter hinter den Rük-ken zu werfen“.

Die durch die Aufzeichnung geometrischer Aufrisse, Detailschilderungen, penetrant einförmige Ausmalung scheinbar widersinniger Handlungen, erreichte Monotonie ist ein

legitimes Stilmittel, um die Unfähigkeit des Menschen, aus dem Rahmen zu fallen, deutlich werden zu lassen, sich aus der Geometrie seines Schicksals zu lösen, auszubrechen aus dem geometrischen Geviert, dessen Symbol die lebensfeindliche, das Lebendige tötende gerade Linie ist. Freilich, der Autor benützt sein Werk nicht zu einem menschheitserwek-kenden Appell, er beläßt alles in der dumpfen, in sich ruhenden Selbstgenügsamkeit, deren Motto vielleicht am besten der banale Satz „So ist das Leben“ sein könnte. Die Figuren bewegen sich geisterhaft, wie in einem Panoptikum, keine tritt heraus. Unheimliche Personen, also Außenseiter werden durch die Brückenwärter vom Dorf abgehalten, ein Künstler geht zugrunde, eine weitere unheimliche Person verschwindet, zwei weitere Personen, die am Anfang den Dorfplatz überqueren wollen und dies am Schluß tun, bleiben außerhalb des Geschehens.

Alles in allem berechtigt dieses Werk des Kärntner Autors zu der Hoffnung, daß die österreichische Literatur etwas Lebendiges, offen für das Experiment, aber auch wurzelnd im Herkömmlichen, dessen Transformation Veraussetzung für jede Weiterentwicklung ist.

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