Angeblich im Visier der Amerika-Hasser

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Die Angst vor Terroranschlägen ist in den USA allgegenwärtig. Präsident Bush versucht daraus Kapital zu schlagen, genauso wie John Kerry auf die Existenzängste der Amerikaner setzt.

Mitten in New York steht ein Hochhaus auf vier Pfeilern und einer zentralen Säule: 46 Stockwerke ragt das Citicorp Center in der Mitte von Manhattan empor. "Verdammt nochmal", flucht Scott Naidech, ein Anwalt, der sein Büro im 39. Stockwerk des Citicorp-Hochhauses hat: "Jeder weiß doch, dass dieser Bau nur auf wackeligen Stelzen steht." Bei der Einweihung wurde das Hochhaus noch als architektonische Meisterleistung gefeiert. Doch mittlerweile gilt das Citicorp Center an der Lexington Avenue als das am meisten gefährdete Hochhaus in New York. Schon eine Autobombe könnte die eleganten Stützpfeiler wegfegen und den gigantischen Wolkenkratzer zum Einsturz bringen. Aber vor allem die Symbolkraft der Citibank als des größten Finanzkonzerns der Welt sei es, so schreiben New Yorker Zeitungen, die deren Hauptquartier in dem Tower auf Stelzen zu einem potenziellen Ziel der Amerika-Hasser mache.

Latentes Angstgefühl

In New York lebt man mit einem "latenten Gefühl der Bedrohung", sagt Heike Warmuth. Sie kenne Menschen, die haben bei jeder Wolke am Himmel Angst vor einem Giftgasangriff, erzählt sie. Auch Warmuth selbst, die drei Monate im New Yorker Wahlkampf-Hauptquartier von John Kerry arbeitete, musste "die ganze Zeit an einen Anschlag denken". Doch "man darf einfach nicht zulassen, dass einen die Angst beherrscht", sagt Warmuth im Rückblick. Für die Wahlkampfhelferin des demokratischen Kandidaten steht zudem eines mit Sicherheit fest: "Immer wenn Kerry in den Umfragen vorne lag, hat die Bush-Regierung Terrorwarnung gegeben." Heike Warmuth nennt das eine bewusste "Politik der Angst" mit dem Ziel, "die Menschen leichter zu kontrollieren, die Menschen leichter zu führen".

Aktuelle Umfragen bestätigen, dass die Angst vor Terroranschlägen das Alltagsleben der Amerikaner bestimmt: Die schlimmen Erinnerungen an den 11. September 2001 können von alltäglichen Ereignissen wieder hervorgerufen werden: einem überfliegenden Flugzeug, der Sirene eines Polizeifahrzeugs oder Nachrichten vom Irak-Konflikt. "Ich gehe nur noch selten nach Manhattan", sagt der 20-jährige Student Andre Garcia aus der New Yorker Bronx. "Ich nenne das nicht Angst; ich nenne das Ich bin sicher'. Ich möchte nicht dort sein, wenn es passiert."

Jedes Flugzeug macht Angst

Dass die Ängste nicht nur die New Yorker umtreiben, sondern auch die Menschen auf dem flachen Land, kann Heike Warmuth aus eigener Erfahrung bezeugen: Dawn Davis, eine 40-jährige Mutter aus dem ländlichen Arkansas, ist ein gutes Beispiel dafür. Wenn sie ein überfliegendes Flugzeug hört, denkt sie manchmal: "Das könnte ein Flugzeug sein, das uns treffen soll." Und Juan José Torres, ein 32-jähriger Lehrer aus Laredo in Texas, sagt: "Wenn ich eine Sirene höre, denke ich immer sofort an den 11. September. Ja, wenn jemand schreit, denke ich an 9/11." Heather Rojo, eine 26-jährige Mutter aus Pierre in South Dakota, fühlt sich nach dem Umzug aus Orange County in Kalifornien nun sicherer. "Die Angst kehrt zurück, wenn wir hin und wieder im Jahr fliegen", sagt sie. "Ich fahre inzwischen lieber mit dem Auto."

Die Angst vor Terroranschlägen werde in den USA aber auch "stark geschürt", ist der gerade aus Amerika zurückgekehrte Politologe Peter Filzmaier überzeugt. Im Wahlkampf gehe es jetzt primär um die Mobilisierung der Nichtwähler, sagt Filzmaier. Und "Mobilisierung braucht Emotionalisierung", die allein durch Angstkampagnen zu erreichen ist. Bush setze dabei auf die Terrorangst, Kerry auf die Existenzängste seiner Klientel, die um Job, Gesundheitsversicherung, Altersvorsorge und die Ausbildung ihrer Kinder fürchtet.

Filzmaier war in den letzten Wochen Wahlforscher an der Graduate School for Political Management in Washington D.C. Überrascht hat ihn, dass auch in akademischen Zirkeln das 9/11-Trauma allgegenwärtig ist: "Jeder kennt jemanden, der ein 9/11-Opfer zu beklagen hat." Umfragen haben ergeben, dass vier von zehn Amerikanern Angst haben, Opfer eines Terroranschlags zu werden. Genauso viele fürchten sich vor Arbeitsplatzverlust oder einem Einbruch. Schuld und Verantwortung wird von fast allen Befragten den Terroristen zugewiesen. Aber auch dem Geheimdienst CIA, der Bundespolizei FBI und der Flugsicherung wird von fast 70 Prozent vorgehalten, mit dazu beigetragen zu haben, dass es soweit kommen konnte. "Irgendwie sind alle schuld", sagt die 57-jährige Angestellte Jeannie Cvetich in Shoreview, Minnesota. Bürger mit großen Terrorängsten unterstützen dabei eher Präsident Bush, machen ihn aber zugleich auch stärker für die Anschläge vom 11. September verantwortlich. Diejenigen, die nicht so besorgt sind, unterstützen eher Herausforderer John Kerry.

Fehlalarm zum Ausspionieren

Auch der deutsche Terror-Experte Udo Ulfkotte hegt keinen Zweifel daran, dass im US-Wahlkampf "sehr viel mit Politik der Angst gearbeitet wird". Und Ulfkotte ist mit Filzmaier einer Meinung, dass Angstpolitik in dieser verschärften Form nur in den USA mit ihrer Fernsehdemokratie möglich ist. In Europa - und im Speziellen in Österreich - sieht Ulfkotte eher die Tendenz, die Terrorgefahr herunterzuspielen. Für den Terrorexperten ist das gehäufte Vorkommen von Fehlalarmen in europäischen Kaufhäusern, Bahnhöfen, Flughäfen etc. aber ein Warnsignal: "Das könnte ein Anzeichen dafür sein, dass Anschläge geplant werden. Terroristen könnten beobachten, wohin sich die Menschen nach einem Alarm bewegen, um einen Anschlag mit noch verheerenderen Auswirkungen zu planen."

Dass es aus politischem Opportunismus heraus in den USA zu Fehlalarmen kommt, will Ulfkotte nicht aussschließen: "Doch wer zu oft schreit, wird einmal nicht mehr gehört", sagt Ulfkotte und ist überzeugt: "Auch Bush will eine positive Erwähnung in den Geschichtsbüchern finden - und eine Politik der Angst kann sich diesbezüglich schrecklich rächen."

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