Das Innere nach außen gestülpt

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Ein sehr persönliches Verhältnis zum Leid, ein sehr mexikanisches Verhältnis zum Tod: Frida Kahlo, Mexikos größte Malerin.

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Ein sehr persönliches Verhältnis zum Leid, ein sehr mexikanisches Verhältnis zum Tod: Frida Kahlo, Mexikos größte Malerin.

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Ihr Herz liegt, riesig wie das eines Elefanten, auf dem Boden und pumpt Ströme von Blut in die Landschaft. Eine Stahlstange durchbohrt ihre Brust, geflügelte Engelein benützen sie als Schaukel. So stellte sich Frida Kahlo 1937 selbst dar. Sie hat sich die Haare abgeschnitten, aus ihren Augen perlen Tränen. Sie trägt europäische Kleider, eine Schuluniform und eine traditionelle Tracht hängen vom Himmel herunter, letztere ist ihr offensichtlich näher. Aus je einem leeren Kleid kommt ein menschlicher Arm, Frida selbst hat keine Hände. Sie steht mit einem Fuß auf Land, mit einem in einer Art Boot im Wasser - das Segel könnte auch ein Verband sein, eine Anspielung auf ihre Fußoperation. Das Bild "Erinnerung oder das Herz" ist eines von über 200, die Frida Kahlo hinterließ. Es ist voll von Hinweisen auf ihre Gespaltenheit, ihre Leiden, das Unglück über die Scheidung von Diego Rivera (kurze Zeit später heirateten sie wieder).

Frida Kahlo ist längst als Mexikos bedeutendste Malerin anerkannt und wurde auch außerhalb Mexikos zur Kultfigur. Andre Breton verglich ihre Kunst mit einer Schleife um eine Bombe, Picasso schrieb 1939 an Diego Rivera, "keiner von uns" könne "einen Kopf so malen wie Frida Kahlo". Sie wurde damals, anläßlich ihrer ersten Pariser Ausstellung, für den Surrealismus vereinnahmt, sah sich aber nicht als Surrealistin. Sie malte keine Träume, sondern die Realität ihrer Empfindungen, ihrer Leiden, Symbole ihres Lebens.

Eine Leidende war sie lebenslang. Nachdem sie als Kind eine Polio-Erkrankung überstanden hatte, bohrte sich bei einem Schulbus-Unglück, bei dem sie außerdem einen Becken-, drei Rückgrat- und sonstige Brüche erlitt, eine Metallstange durch ihren Unterleib. Es folgten quälende Behandlungen, weitere Erkrankungen, Fehlgeburten als Folge des Beckenbruchs, viele Operationen - und ein sehr persönliches und sehr mexikanisches Verhältnis zum Tod, das dauerte, solange sie lebte, und eine zentrale Stellung in ihrer Kunst einnahm.

Die seit längerem vergriffene Monographie "Frida Kahlo - Die Gemälde" von Hayden Herrera liegt nun in einer Neuausgabe wieder vor. Frida Kahlo schuf Bilder von großer Schönheit, wie das "Selbstbildnis mit Affe" oder das "Selbstbildnis mit Dornenhalsband" und Bilder, die den Tod mit einer unpathetischen Sachlichkeit darstellen. "Der tote Dimas Rosas im Alter von drei Jahren" ist, mit offenen Augen, nach traditoneller mexikanischer Art aufgebahrt. Das Bild wirkt gerade durch die kühle Distanz erschreckend und zählt, ebenso wie das 1938 entstandene "Mädchen mit Totenmaske", zu den Hauptwerken der lateinamerikanischen Malerei.

Frida Kahlo war die Tochter eines nach Mexiko ausgewanderten jüdischen Fotografen aus Ungarn und einer mexikanisch-indianischen Mutter. Sie wurde 1907 im selben "Blauen Haus" im Vorort Coyoacan von Mexico City, der heute zum Stadtgebiet gehört, geboren, in dem sie später starb, das heute ein Frida-Kahlo-Museum ist und in dem ein falsches Geburtsdatum an der Wand steht. Sie lernte vom Vater die Technik des Retuschierens. Nach dem Unfall malte sie noch im Spital das erste ihrer vielen Selbstporträts.

Den berühmten Freskenmaler Diego Rivera wollte sie schon als Schulmädchen heiraten, als sie ihn auf einem Gerüst arbeiten sah. Als sie ihn später wieder traf, kam es schnell zur großen Liebe beiderseits und zur Ehe - die sich zu einer Kette von Krisen entwickelte. Sie unterwarf sich nicht, konkurrierte nicht mit ihm, sondern entwickelte sich zu einer völlig eigenständigen künstlerischen Persönlichkeit. Rivera betrog sie unter anderen mit ihrer eigenen Schwester und mit der Filmschauspielerin Paulette Goddard, sie revanchierte sich unter anderen mit einer Freundin Riveras und, was ihn mehr störte, mit Leo Trotzki. Sie bewohnten zeitweise ein Doppelhaus, wenn sie ihre Tür verschloß, stapfte Rivera auf der Verbindungsbrücke hin und her, bis sie ihn wieder einließ.

Formal waren das Beste, was sie vollbrachte, ihre Selbstbildnisse mit dem strengen Blick, in denen sie die starken, in der Mitte zusammengewachsenen Augenbrauen zu einer mächtigen Vogelschwinge stilisierte und ihren leichten Bartwuchs hervorhob und in denen sie sich, wie im Leben, gerne mit Tieren, Affen, Papageien, Hunden, umgab. Trotzdem steht der Name Frida Kahlo vor allem für jenen Teil ihres Werks, in dem sie, in einer persönlichen Symbolsprache, traumatische Erlebnisse verarbeitet: Kindheitstraumata wie die Epilepsie des Vaters und den Entzug der Mutterliebe durch die Geburt ihrer nächstjüngeren Schwester, den schweren Unfall als 18jährige und die Frustrationen ihrer Ehe.

Sie malt sich als von neun Pfeilen durchbohrter, gehörnter "Kleiner Hirsch", in einem Stockbett unter einem von Feuerwerkskörpern umwickelten mexikanischen Pappmache-Totengerippe, mit Verwundungen, immer wieder mit vom Körper getrennten Organen und in einem ihrer stärksten Bilder ("Die gebrochene Säule") weinend, mit bloßgelegter Wirbelsäule, die durch eine mehrfach gebrochene griechische Säule ersetzt ist, der Körper von Riemen umschnürt und mit Nägeln gespickt. Frida Kahlo starb mit 47 Jahren nach der Amputation eines Beins, offiziell an einer Lungenembolie, nachdem sie einen aufsteigenden Todesengel in ihr Tagebuch gemalt und geschrieben hatte: "Ich hoffe, der Abgang ist freudig - und ich hoffe, ich komme nie mehr zurück - Frida."

FRIDA KAHLO - DIE GEMÄLDE Von Hayden Herrera, Übersetzung: Manfred Ohl, Hans Sartorius Schirmer/Mosel, München 1997272 Seiten, 77 Farbtafeln, 217 Abbildungen, öS 364,

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