Die Jugend riskiert den Neuanfang

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Regisseur Peer Boysen und Dirigent Christoph Altstaedt zeigen am Tiroler Landestheater einen glänzenden "Idomeneo“ und beenden damit den Mozart-Zyklus der Intendantenära Fassbaender.

Wenn Idomeneo ein abgetrenntes Haupt in Händen hält, hat das nichts mit dem Skandal um die Berliner Neuenfels-Inszenierung von 2006 zu tun, als die abgeschlagenen Köpfe von Poseidon, Jesus, Buddha und Mohammed gezeigt wurden. Wohl aber zitiert Regisseur Peer Boysen die Aufführung von Aischylos’ "Orestie“, die mit ihren zu vielen toten Köpfen derzeit parallel zu Mozarts "Idomeneo“ am Tiroler Landestheater läuft. Thematisch berühren die Stücke einander.

Vorgriff auf eine bessere Welt

Peer Boysen, in Innsbruck auf Wunsch von Intendantin Brigitte Fassbaender für ihren Mozart-Zyklus zuständig, beendet diesen nun mit "Idomeneo“ und lässt den Kreterkönig - librettowidrig - seinen Sohn enthaupten. Idomeneo hat auf der Heimreise vom Trojanischen Krieg in Seenot geschworen, Meeresgott Neptun den ersten Lebenden an Land zu opfern - bei der Ankunft läuft ihm sein Sohn Idamante entgegen. Der Vater versucht es mit Tricks, der Gott ist unbarmherzig. Jedenfalls in der französischen Stoffvorlage, wo Idomeneo dem Wahnsinn verfällt, Idamante mit dem Opferbeil tötet und dessen Liebe Ilia sich entleibt. Hier holt sich Boysen die Legitimation für den Vollzug des Opfers. Elettra, Idomeneos verschmähte Braut, singt ihre Rachearie und erhält dann Selbstmordhilfe.

Sinngemäß und sogar musikalisch geht das auf. Nun verlangten aber die Opernkonvention und der auftraggebende Münchner Hof ein Happyend. Also stoppt Boysen, fährt zurück vor den Mord und zeigt das lieto fine, spult vielleicht auch voraus in die bessere Welt, in der neues Leben ist. Der aus der Unterbühne hochgefahrene Richtblock, auf dem viel gelitten wird, nimmt während der finalen Ballettmusik das vom Orakel zum neuen Königspaar bestimmte Liebespaar auf, aber Idamante und Ilia werfen die Kronen ab, pfeifen aufs Herrschen und stürmen davon. Lösen damit in Boysens Utopie die belasteten Themen der Weitergabe von Schuld und Verantwortung, vom Morden durch die Generationen, vom Konflikt zwischen Mensch und Götterwelt einfach auf.

Boysens kluge, sensibel wissende, choreografisch durchgeformte Regie äußert sich in der intensiven Personenregie hochempathisch. Idomeneo ist ein gebrochener Kriegsheimkehrer, der das Leben und Fühlen in den Normen der Zeit wieder lernen muss. Martin Homrich, bei der Premiere stark indisponiert und dennoch imposant singend, stellt ihn mit neu facettierter Gestaltungskraft dar, Trine Bastrup Møller singt den Idamante empfindsam und edel. Ilias Verzweiflung als in den Feind verliebte Kriegsbeute gehört Boyens besonderer Blick und Sophie Mitterhubers schöner, geradliniger Sopran, Irina Taboridzes Elettra setzt sich dagegen charaktervoll ab. Als Arbace fällt Leonardo Ferrandos Tenor auf.

Barocker Sound

Dass dieser "Idomeneo“ zum Gesamtkunstwerk wird, bestimmen mehrere Faktoren: Boysen ist nicht nur Regisseur, sondern auch der Bühnen- und Kostümgestalter. In der Gewandung fragt er nicht nach Zeit und Stil, sondern nach der Personencharakteristik, auf der Bühne braucht er nichts außer Raum und seiner Kreativität, die die Fantasie des Zuschauers öffnet. Der personifizierte Meeresgott Nettuno in blauer Mozart-Eleganz (Benito Marcelino) beherrscht lange die Verstrickungen, donnert ein bisschen in den schwefelgelben Sturm des Rundhorizonts und lässt sich huldigen.

Boysens Hauptinteresse aber gilt Mozart. Er inszeniert außerordentlich musiknah und setzt das Tiroler Symphonieorchester Innsbruck als blitzenden Organismus auf eine hohe Tribüne in die hintere Bühnenhälfte. Christoph Altstaedt, 31, der neue Chefdirigent des Orchesters, bringt in nimmermüder Passion Mozarts grandiose Musik zu voller Wirkung: Nie zuvor und niemals danach hatte Mozart so reiche musikalische Möglichkeiten vorgefunden wie im "Idomeneo“-Winter 1780/81 bei der Münchner Hofkapelle, die aus dem berühmten Mannheimer Orchester hervorgegangen war. Altstaedt nützt die technischen und stilistischen Fähigkeiten der Musiker zu einer energetischen, präzisen, griffigen Interpretation (mit Naturtrompeten, -hörnern, alten Pauken), die einem Barockorchester sehr nahekommt.

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