Die Wunden der Vergangenheit

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Johann Orasche, von Beruf Postfacharbeiter, war gerade einmal 18 Jahre alt, als er 1943 zu Tode verurteilt wurde, Marija Olip, eine Partisanin, die mit ihm verhaftet worden war, berichtet: "Der Hanzi konnte nach der Urteilsverkündung nicht mehr reden. Wie er herausgekommen ist, hat er gerade noch so mit der Hand gemacht, der Kopf ist verloren.“

Als 1938 die Naziherrschaft in Kärnten begann, vor allem aber nach den Zwangsumsiedlungen im Jahr 1942, gingen viele junge Slowenen in den Widerstand. Sie lebten in den Wäldern oder versteckten sich bei Bauern. Zu Hunderten wurden sie erschossen, gehängt oder in Konzentrationslagern ermordet. Nicht nur eine Ortschaft in Südkärnten hat in den sieben Jahren des Terrors zwei Drittel ihrer Bewohner verloren - so wie etwa Zell Pfarre.

Das "Buch der Namen“, herausgegeben von den Historikern Wilhelm Baum, Peter Gstettner, Hans Haider, Vinzenz Jobst und Peter Pirker, holt diese Schicksale aus dem Vergessen. Die Autoren gehen Einzelfällen, soweit sie sich aus Gerichtsakten noch erschließen lassen, nach und entwerfen so Porträts von Opfern des Nationalsozialismus, seien es nun Slowenen, Juden, Protestanten oder politische Gegner der Nationalsozialisten.

Unter Generalverdacht

Als ein Beispiel für viele sei hier der Fall Anton Kutej angeführt. Kutej, der slowenischstämmige Kaplan von St. Michael bei Bleiburg, weigerte sich, seinen Wehrpass zu unterschreiben, um im Ordinariat um Unterschriftserlaubnis nachzufragen. Er wurde deshalb vom Gemeindesekretär bei der Gestapo angezeigt, als "Nationalist und Kriegsdienstverweigerer“. Als erschwerend wurde ihm angelastet, dass er bei einer Volkszählaung Deutsch als Fremdsprache angegeben hatte. Kutej wurde am Osterdienstag 1940 verhaftet und ohne Prozess ins KZ Mauthausen und später nach Dachau gebracht und dort ermordet.

Slowene zu sein reichte aus, um unter Generalverdacht zu stehen. So verkleideten sich Gestapo-Beamte als Partisanen, und zogen von Hof zu Hof, um nach Unterkunft und Essen zu fragen. Einfache Bauern, wie Marija Lipus aus Remschenig, bezahlten ihre Freundlichkeit mit dem Leben. Lipus hatte den Männern Suppe gegeben. Sie wurde verhaftet und ins KZ Ravensbrück gebracht. Wenige Monate vor Kriegsende wird sie in der Gaskammer ermordet.

"Das Erzählen von Einzelschicksalen“, schreibt Peter Gstettner in seinem Vorwort, "ist ist die einzige Form, die das Mitgefühl mit dem Opfer bewahren kann. Der Mangel an Identifikation gehört zu den entscheidenden Ursachen für das Desinteresse an den Untaten der Nazis, für das gleichgültige Zuschauen, für das massenhafte Mitläufertum.“ Es ist diese persönliche Herangehensweise, die das "Buch der Namen“ zu einem Vermächtnis auf mehr als 840 Seiten macht - zu einem Appell für die Bewahrung der Menschlichkeit unter allen Umständen.

Das Buch der Namen

Die Opfer des Nationalsozialismus in Kärnten.

Herausgeber: Wilhelm Baum, Peter Gstettner, Hans Haider. Kitab 2010

847 Seiten, geb., € 28,20

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