Ein Land der Rechts-Verdrehung

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Recht ist die Kunst des Guten und Gerechten. So steht es am Beginn der Pandekten, des zentralen Werkes des römischen Rechts. Auf diesem Grundsatz regelt eine allgemein gültige Ordnung das Zusammenleben einer Gesellschaft, will sie nicht zerfallen in Herrscher und Diener, Reiche und Beraubte, Diktatoren und Unterdrückte. Manchmal scheint sich dieser hehre Grundsatz der Alten allerdings verkrümeln zu wollen. Er versteckt sich dann hinter schwer nachvollziehbaren juristischen Wortschöpfungen, die einen rechtsfreien Raum umschreiben, in dem im Zweifel der Schwächere benachteiligt wird. So geschehen in der Causa Ortstafeln, in der die Staatsanwaltschaft mit abenteuerlicher Begründung sich eines Verfahrens gegen den Kärntner Landeshauptmann Dörfler entledigt hat. Der Kernsatz hinter all den Erklärungsbrocken, die Justizministerin Claudia Bandion-Ortner in den vergangenen Tagen der Öffentlichkeit vorgesetzt hat, heißt: Das Rechtssystem erklärt sich in der Causa Ortstafeln für unzuständig.

Freibrief für Dörfler

Nach geltender Gesetzeslage ist das vielleicht argumentierbar. Politisch, gesellschaftlich und nach allen Grundsätzen der Rechtsphilosophie aber nicht. Denn die Justiz versorgt damit ausgerechnet jene, die das Verfassungsgericht als Rechtsbrecher geißelt, mit einem Freispruch für die Vergangenheit und zum Drüberstreuen auch noch mit einem Freibrief für die Zukunft. Dass der Kärntner Landeshauptmann seines Verstandes nicht mächtig war, als er die Ortstafeln in Bleiburg versetzte, um den Verfassungsgerichtshof zu düpieren, weil er als kleiner Bankbeamter nicht fähig sei, die Tragweite seiner Entscheidung zu ermessen, ist als Argument gerade so absurd, wie die Verrückung der Tafeln selbst.

Doppelt schmerzlich aber wird die Angelegenheit, wenn drei Instanzen und ein Ministerbüro diese Frucht ängstlicher Juristenhand lesen und niemand sich findet, der laut und deutlich „Halt“ ruft. Der zuständigen Ministerin Claudia Bandion-Ortner fällt zwar das „Unglückliche“ an einzelnen Formulierungen auf – mehr aber nicht. Anstatt ihre Behörde eine neue Expertise erstellen zu lassen, genehmigt sie die unbrauchbare Version und ist hernach überrascht und beleidigt, wenn die Angelegenheit ruchbar wird.

Dann sitzen plötzlich jene Journalisten und Medien auf der Anklagebank, die den Sachverhalt aufdeckten. Zeitgleich lässt Bandion-Ortner Verrätersuche in den eigenen Beamten-Reihen üben, sperrt dabei sogar die Website eines Journalisten für die Mitarbeiter und lässt die Daten jener „protokollieren“, die es wagen, auf die betreffende Homepage einen Blick zu werfen. Als auch dieser tollpatschige Versuch der Rasterfahndung auffliegt, spricht man im Ministerbüro von einem „blöden Zufall“. Dem nicht genug, beweint sich die Ministerin in einem Interview gar noch als „Freiwild“ der Medien. Dass Frau Bandion-Ortner den Journalisten aufträgt, sie sollten nicht Politik machen, ist geradezu rührend, bedenkt man, dass sie selbst diese zu machen verweigert.

Eine Frage der Verantwortung

Es reicht eben nicht aus, die Schuld der Vorgängerin Maria Berger umzuhängen. Die Verantwortung im Hier und Heute hat die zuständige Ressortchefin zu tragen. Es reicht auch nicht, nach Kärnten zu pilgern und dort zu fragen, ob eh alles in Ordnung ist: Seit 30 Jahren liegt das Recht dort im Argen, seit den siebziger Jahren wird dort die Verfassung gebeugt, werden im Namen eines radikalen ewiggestrigen Klüngels Minderheitenrechte mit Füßen getreten. Vor allem aber reicht es nicht, sich aus der Verantwortung zu stehlen, wenn es um die im Grundgesetz garantierten Rechte einer Minderheit handelt. Wenn schon das geltende Recht diese Rechte derzeit nicht schützt, dann wäre es doch Aufgabe der Justiz und der Politik, das zu reparieren. Dazu braucht es nicht nur die Ministerin, sondern die gesamte Regierung, die derzeit das verzweifelte Rudern Bandions amüsiert aus der Ferne beobachtet und die Konsequenzen des Trauerspiels verleugnet: dass eine Minderheit um ihr Recht geprellt wird, dass sich der Rechtsstaat damit selbst untergräbt und dass das Schweigen der Politik nichts anderes als Zustimmung zum Verfassungsbruch bedeutet. Wehe, rufen die Pandekten.

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