Verwirrspiel um die „religiöse Gewalt“

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Ein mildes Gerichtsurteil gegen einen türkischstämmigen Österreicher sorgt für Aufregung. Nun wogt eine Debatte über eine Strafrechtsverschärfung.

Es liegt offenbar in der Natur der Politik, dass die Kronen Zeitung zuerst die Neuigkeit erfuhr: „Religös motivierte Verbrechen sollen härter bestraft werden!“ lautete der Titel der für Krone-Verhältnisse überdimensional großen Geschichte, lanciert vom ÖVP-Parteisekretariat und tags darauf von Justizministerin Claudia Bandion-Ortner bestätigt.

Grund für die Aufregung war ein Gerichtsurteil, das einen aus der Türkei stammenden Österreicher des versuchten Totschlags für schuldig befand, weil er seine Frau mit Messerstichen und Schlägen mit einem Metallrohr schwer verletzt hatte. Eine „allgemein begreifliche Gemütserregung“ hatte das Gericht dem Angeklagten aufgrund seiner Herkunft bescheinigt und ihn deshalb nicht des versuchten Mordes für schuldig befunden.

Verwirrendes Vorgehen

Danach geschah Verwirrendes. Bandion Ortner verteidigte zunächst die unabhängige Entscheidung des Gerichtes: „In die unabhängige Justiz einzugreifen, wäre ein Skandal“ (Bandion-Sprecherin Katharina Swoboda). Gleich darauf allerdings erging ein Erlass des Ministeriums an alle Oberlandesgerichte und Oberstaatsanwaltschaften, der im Nachhinein Kritik an dem Urteil übt: „Weder Ausländereigenschaft noch Herkunft reichen aus, um eine heftige Gemütsbewegung für sich genommen zu begründen.“

Der darauf folgende Gesetzesvorschlag via Krone besagt aber nun endgültig das Gegenteil dessen, was der Schöffensenat in Wien in seine Urteilsbegründung schrieb. Nicht mildernd, sondern erschwerend sollen sich künftig nun kulturelle, religiöse oder traditionelle Beweggründe auswirken.

Während BZÖ und FPÖ Applaus spendeten, war der Koalitionspartner SPÖ von der Vorgangsweise der Ministerin wenig begeistert und schickte Justizsprecher Hannes Jarolim vor, um zu monieren, dass allein schon der Begriff „religiös motiviert“ zu „erheblichsten Auslegungsproblemen“ führen würde. Auch der grüne Justizsprecher Albert Steinhauser fürchtet „juristische Schieflagen“ und fordert, „aus solchen Motiven weder Erschwerungs- noch Milderungsgründe abzuleiten“.

Gleich ablehnend die Äußerungen der Islamischen Glaubensgemeinschaft und der katholischen Kirche. Der Sprecher der Erzdiözese Wien, Erich Leitenberger: „Wenn es um Ehrenmorde oder dubiose Volksbräuche geht, hat das mit Religion nichts zu tun.“ Die Skepsis ist auch von Juristenseite groß: Im Gespräch mit der FURCHE hält der Verfassungsrechtler Heinz Mayer den Vorschlag wörtlich gar für „verfassungswidrig“. Mayers Begründung: „Das ist zu unbestimmt, vorher müsste man beantworten, was man wie als religiöses Motiv definiert.“

Eindeutige Auslegung

Zu anderen Überlegungen mit ähnlichem Ergebnis gelangen Strafrechtsexperten der Universität Wien. Helmut Fuchs, Vorstand des Instituts für Strafrecht und Kriminologie, hält die Festschreibung gegenüber dem Standard für „absolut unnötig“: Die Strafrechtsexpertin Susanne Reindl-Krauskopf (siehe Interview) sieht nicht nur alle Tatbestände bereits durch das geltende Strafrecht abgedeckt, sie verweist auch auf mehrere Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes, der – im Gegensatz zum Landesgericht Wien – strafmildernde Umstände wegen traditioneller oder kultureller Beweggründe abgewiesen hat, zuletzt 2004 und 2005. Dabei bestätigte der OGH 2004 in einem Fall von Messerstecherei in Zusammenhang mit Ehebruch den Schuldspruch wegen Mordversuchs, weil kein Mensch „von durchschnittlicher Rechtstreue“ in einer dem Angeklagten vergleichbaren Situation „in eine derart heftige Gemütsbewegung geraten wäre“.

In einem Fall vom April 2005, in dem ein türkischstämmiger Mann seine Frau mit 14 Messerstichen getötet hatte, weil sie sich scheiden lassen wollte, bestätigte der OGH ebenfalls den Schuldspruch, diesmal wegen Mordes: Die Tat sei „auch unter Berücksichtigung der Herkunft des Angeklagten aus dem türkisch-muslimischen Kulturkreis nicht „allgemein begreiflich“. Der Milderungsgrund „kulturelle Tradition“ wird also wie in Wien nur in – äußerst umstrittenen – Ausnahmefällen gewährt. Wozu aber der Erschwerungsgrund „religiöse Motivation“, wenn Bandion Ortner selbst sagt: „Von den Tatbeständen haben wir alles, was wir brauchen. Mord bleibt Mord, mehr als Lebenslänglich kann nicht verhängt werden.“ Und meint Bandion-Ortner „Erschwerungsgrund“, wenn sie sagt, „religiöse Gründe sollten niemals ein Milderungsgrund sein“?

Koalitionsabkommen

Als aufschlussreich könnte sich in diesem Zusammenhang das Koalitionsabkommen der Regierung erweisen, denn es enthält eine mögliche Kompromissformel – die freilich nicht nach dem Geschmack der Krone sein dürfte. Unter dem Kapitel „Inneres, Justiz und Landesverteidigung“ heißt es: „Wer eine Gewalttat begangen hat, kann sich zu deren Rechtfertigung, Entschuldigung oder Milderung der Strafe nicht auf Tradition, Weltanschauung oder Religion berufen.“

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