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Nach-Stalinismus

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GENICKSCHUSS — Die Rote Armee am 22. Juni 1941. Von Alexander N ekrit sch und Pjotr Grigo-renko. Europa-Verlag, 328 Seiten. S 147.—.

Diese verdienstvolle Herausgabe des Europa-Verlages bringt ein interessantes, zeitgenössisches Thema dem westlichen Leser nahe — und erhellt die Hintergründe der sowjetischen Geschichtswissenschaft wie der öffentlichen Situation in der NachChruschtschow-Ära. Alexander Nekritsch, zwanzigjähriger Soldat der Roten Armee bei Kriegsausbruch 1941, schildert auf Grund umfangreicher Studien als Doktor der Philosophie, Professor für Geschichte am historischen Institut der Akademie der Wissenschaften, die Vorgeschichte des Kriegsausbruchs und das Verhalten der politischen und müitärischen Führung der Sowjetunion im Juni 1941, als Hitler die Sowjetunion angriff. Nekritsch deckt die historische Schuld Stalins auf, beweist an Hand unbekannter Unterlagen die Naivität der Führung und schildert den Zustand der Roten Armee, die sich nach Jahren der grausamen Säuberungen in einer verschuldet-aussichtslosen militärischen Lage sah. Aber noch interessanter als die mit manchmal russischem Pathos verfaßte Arbeit von Nekritsch ist die weitere Geschichte eines Manuskripts, das in einer Auflage von 50.000 Stück im Herbst 1965 erschien und sofort in mehrere Ostblock-Sprachen übersetzt wurde. Denn sofort setzte ein Kesseltreiben gegen den Autor und das Werk ein. In einer heißen Diskussion — die teilweise in dem vorliegenden Buch des Europa-Verlages wiedergegeben wird — versuchten Konservative und Stalinisten, Nekritschs Fehler nachzuweisen und ihm Verrat am Marxismus-Leninismus vorzuwerfen. Auch der pensionierte Generai Grigorenko gehörte zu den Kritikern Nekritschs; allerdings zu jenen, deren Anklage zugleich Verteidigung für den Autor bedeutete. Grigorenko — selbst Augen- und Ohrenzeuge des 22. Juli 1941 — erweist die historische Schuld Stalins,

Nekritsch freilich wurde das Opfer des neo-stalinistischen Moskau. Im Juni 1967 erfolgte sein Ausschluß aus der KPdSU, später der Verlust seines Lehrstuhls.

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