Bob Dylan - © Wikipedia

Nobelpreis für Bob Dylan: Große Lyrik?

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Bob Dylan erhält den Nobelpreis für Literatur. Die einen applaudieren, die anderen empören sich. Schreibt Bob Dylan Literatur, die eine solche Auszeichnung verdient? Die FURCHE fragte Daniela Strigl und Anton Thuswaldner - und erhielt konträre Antworten.

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Bob Dylan erhält den Nobelpreis für Literatur. Die einen applaudieren, die anderen empören sich. Schreibt Bob Dylan Literatur, die eine solche Auszeichnung verdient? Die FURCHE fragte Daniela Strigl und Anton Thuswaldner - und erhielt konträre Antworten.

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Viel Unsinn war in den letzten Tagen dazu zu hören und zu lesen: dass Bob Dylan doch weder das Preisgeld noch die Aufmerksamkeit brauche (Franzobel); dass mit dieser Entscheidung die letzten Tage der Literatur anbrächen (Klaus Kastberger, nur halbironisch); dass Bob Dylan dafür genauso wenig qualifiziert sei wie für die Formel 1-Weltmeisterschaft (Denis Scheck, brachialwitzelnd). Als wäre der Nobelpreis Bestandteil der heimischen Versorgungs- und Förderkultur, und keine Auszeichnung für ein im besten Fall epochemachendes Lebenswerk. Als gäbe es einen Qualitätsunterschied zwischen Literatur, die sich so nennt, und Literatur, die in Form von Songtexten daherkommt. Als gebührte dieser Preis allein dem Sieger eines sportlichen Wettkampfs in der Disziplin Langstreckenroman (Pynchon! DeLillo!).

Bob Dylan als einer, der "kein einziges literarisches Werk vorzuweisen hat" (Kastberger)? Welch eigenartiges Literaturverständnis entbirgt sich da. Seine gesammelten Songtexte füllen 688 Seiten, aber das Buch heißt halt "The lyrics, 1961-2012" und nicht "Lyrik" und gilt damit nicht als satisfaktionsfähig. Ich behaupte dagegen: Bob Dylan ist ein Dichter, und was für einer. Ein Dichter, der auch Komponist ist, Musiker, Sänger. Oder ein Musiker, der auch dichtet, das eine ist bei ihm vom anderen nicht zu trennen. Als Robert Allen Zimmerman mit 21 den Namen Bob Dylan annahm, war das eine Verbeugung vor dem walisischen Lyriker Dylan Thomas. Eine Verbeugung und sehr wohl auch eine Ansage für einen, der sich bloß einen "song and dance man" nannte.

Witz und surrealer Hintersinn

Viele von denen, die sich heute ereifern, kennen bestenfalls einen Zipfel des Dylan'schen Oeuvres; das man, trotz Gisbert Haefs' Nachdichtungen, auf englisch lesen muss, die Übersetzungen, die im Netz kursieren, sind jedenfalls schlecht und strotzen von Fehlern. Die Frage, ob diese Lyrics auch als Lyrik "funktionieren" würden, ist schlicht falsch gestellt: Sie funktionieren ja seit über fünfzig Jahren genau so. Gesungene Gedichte -bei Homer und Sappho und Walther von der Vogelweide, Singer-Songwriter allesamt, akzeptieren wir die Texte fraglos als Poesie, weil wir nichts anderes haben. Ohne Zweifel: Dylans Verse entfalten ihre volle Wirkung erst als Songs. Aber wer sie nicht nachliest, bringt sich ebenfalls um einen Teil des Genusses.

Dylans Witz und surrealer Hintersinn, seine Prägnanz, sein Gespür für das rätselhaft treffende Wort, den verblüffenden Reim, seine Vertrautheit mit der Sprache der Bibel sind die Konstanten in einem Werk, dessen Autor sich unermüdlich neu entworfen hat. Ein Ebenbürtiger, Leonard Cohen, hat Dylan "the Picasso of Song" genannt. Protestsongs, Liebeslieder, verkappte Gebete, Balladen aus der Tiefe des amerikanischen Mythos - Dylan ist eben nicht im Jahr 1968 stehen geblieben. Heinrich Detering, Literaturwissenschaftler und Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, hat jüngst in "Die Stimmen aus der Unterwelt. Bob Dylans Mysterienspiele" gezeigt, wie Dylan gerade in seinem Spätwerk ab "Love and Theft" (2001) einen gewaltigen Hallraum des Zitats unverwechselbar zum Klingen bringt, von Homer und Ovid über Rimbaud und Verlaine bis zu Sinatra - Liebe und Diebstahl. Quasi das Jelinek'sche Projekt, gewendet ins Affirmative.

Bob Dylan, der unverwüstliche Romantiker, hat nicht nur als politischer Kopf "das Vorzüglichste in idealistischer Richtung geschaffen", wie es die Stockholmer Satzung verlangt. Für die New York Times gehört er zu den "wahrhaftigsten Stimmen, die Amerika hervorgebracht hat", ein "Schöpfer von Bildern, so kühn und nachhallend wie alles von Walt Whitman oder Emily Dickinson". Aufgepasst also, ihr Ungläubigen: "Come writers and critics /Who prophesize with your pen /And keep your eyes wide /The chance won't come again /And don't speak too soon / For the wheel's still in spin."

Die Antwort von Anton Thuswaldner lesen Sie hier.

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