Bob Dylan - © Wikipedia

Nobelpreis für Bob Dylan: Oder doch zu klein geraten?

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Bob Dylan erhält den Nobelpreis für Literatur. Die einen applaudieren, die anderen empören sich. Schreibt Bob Dylan Literatur, die eine solche Auszeichnung verdient? Die FURCHE fragte Daniela Strigl und Anton Thuswaldner - und erhielt konträre Antworten.

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Bob Dylan erhält den Nobelpreis für Literatur. Die einen applaudieren, die anderen empören sich. Schreibt Bob Dylan Literatur, die eine solche Auszeichnung verdient? Die FURCHE fragte Daniela Strigl und Anton Thuswaldner - und erhielt konträre Antworten.

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Zugegeben: Ich bin mit Bob Dylan aufgewachsen. Er nimmt einen ähnlich wichtigen Stellenwert in meiner Biografie ein wie Jim Morrison von "The Doors" oder John Lennon. Ich habe sie als Musiker wahrgenommen, und wenn sie mehr Arbeit in ihre Texte investierten als andere aus dem Umfeld der Rockmusik, war mir das recht. Als Literaten nahm ich sie dennoch nicht wahr. Ich bin auch aufgewachsen mit dem "Museum der modernen Poesie", der großartigen Lyrikanthologie von Hans Magnus Enzensberger.

Darin waren große Stimmen des 20. Jahrhunderts versammelt. Zwischen den beiden Bereichen wusste ich strikt zu trennen. Gegen Gedichte von Pablo Neruda, Giuseppe Ungaretti oder Dylan Thomas wirkten die Songs von Bob Dylan etwas gar klein geraten. Diese finden erst dann zu ihrer Größe, wenn sie mit der Musik zu stimmigem Einklang zusammentreffen. Der raunend-melancholische Gesang, die näselnde Stimme, die ganze Silben verschluckt, das Vernuscheln der Texte, dazu die Klarheit stiftende, bisweilen recht schroff klingende Gitarre und eine Mundharmonika, die direkt aus dem Reich des tiefen Blues zu kommen scheint, alles zusammen ergibt eine Stimmung, der man leicht verfallen kann. Ein Musikpreis für Bob Dylan? Wunderbar! Der Nobelpreis für Literatur für Bob Dylan? Eine Fehlentscheidung!

Literatur zeichnet aus, dass sie ohne Performance auskommt. Es genügt ein Text, und der stellt mit dem Leser etwas an, womit er vorher nicht gerechnet hat. Er braucht keine Schmeichelhelfer, die ihm einreden, so schlimm ist der Text ja gar nicht, lass dich ein auf Melodie, Rhythmus und Stimme, dann sind auch die Härten ertragbar, dann schluckst du auch das, was auf den ersten Blick unverständlich bleibt. Pop rutscht runter wie Öl. Er kann sich noch so kritisch gebärden, er bleibt eine recht hübsche Attitüde, weil ihm Gefälligkeit und das Schielen nach dem Publikum den Zahn ziehen.

Kein bisschen revolutionär

Es ist gar nicht revolutionär, einem 75-jährigen Popmusiker, der längst zum Establishment gehört und eine bürgerlich gefestigte Existenz führt, den Nobelpreis zu überreichen. Es entbehrt jeder Kühnheit, einem soliden Musiker Literaturtauglichkeit zu bescheinigen und seine Fähigkeit als Grenzüberschreiter zu preisen. Die Texte müssen für sich allein bestehen können. Und da tut sich Dylans Lyrik, die gern mit alttestamentarischer Wucht und bibelgestählt auftritt, schwer. Diese Texte, die oft geschätzt werden, weil sie sich aus dem reichen Fundus abendländischer Kultur bedienen, changieren zwischen biederen Botschaften, die als Zier eines Poesiealbums durchgehen mögen, und aufdringlicher Bildungshuberei, die kraftmeiernd beweisen muss, wozu sie fähig ist.

Wie lautet der Stockholmer Auftrag? Wir müssen Revisionsarbeit betreiben. Wer sagt, dass Schikaneders Libretto "Die Zauberflöte" erst durch die Musik Mozarts zu etwas Einzigartigem geworden ist? Und warum geben wir uns so rückständig und verzichten nicht endlich auf Schuberts Vertonungen, wenn wir Wilhelm Müllers "Die Winterreise" auch lesen können? Zeitsparender ist die Lektüre allemal als die so langsam sich entwickelnden Lieder.

Der Nobelpreis ist der falsche Preis für Dylan. Er vernachlässigt seine Fähigkeit, aus dem Textmaterial erst im Vortrag etwas zu machen. Gerade auf die Veränderbarkeit des Schriftlichen kommt es an. Ein Songtext ist eine Vorgabe, die auf Gestaltung wartet. Ihn nur zu lesen, bestätigt seine Unfertigkeit.

Die Stockholmer Akademie hat das Sich-Anbiedern an den Zeitgeschmack gelernt. Im nächsten Jahr der Nobelpreis für Haruki Murakami, und dann ist es endgültig vorbei mit einer Auszeichnung, die einmal Qualität eine Chance gab, unabhängig von der Massentauglichkeit. Was haben sich die Juroren gedacht? "The answer is blowing in the wind". Auch so eine Allerweltsphrase, ein Kalenderspruch, der sich wichtig macht.

Die Antwort von Daniela Strigl lesen Sie hier.

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