Keine Stadt für Celan

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"Displaced - Paul Celan in Wien": Eine Ausstellung dichtester Atmosphäre im Jüdischen Museum.

Fünf kostenlose Pflichtstücke für die Bibliotheken, 90 Schilling Erlös für die neun verkauften Exemplare, 56 Schilling Vergütung für das Altpapier der 320 auf Verlangen des Dichters eingestampften Exemplare, da der Band voll der "Druckfehler von der entsetzlichsten Sorte" gewesen war, wie er in einem Brief schrieb: So sah die Abrechnung über den Gedichtband "Der Sand aus den Urnen" von Paul Celan aus, seine erste Lyrikpublikation, eine der wichtigsten deutscher Sprache der frühen Nachkriegszeit. Zu sehen in der Ausstellung "Displaced - Paul Celan in Wien 1947/1948" in Wiens Jüdischem Museum.

Über Paul Celan sind in den letzten Jahren wichtige Publikationen erschienen. Sie holten Vergessenes zurück, stellten kursierende Irrtümer richtig und brachten neue Einsichten, doch betraf das meiste davon die Zeit nach Celans Abreise aus Wien. Im Jüdischen Museum ist Celan zwar einerseits Mittelpunkt, zugleich aber Kristallisationskern einer Ausstellung über das Wien der Nachkriegszeit, über die "Displaced Persons", die Versprengten aus aller Welt, die ehemaligen Zwangsarbeiter, die befreiten KZ-Häftlinge, die überlebenden Juden, die einen Weg nach Palästina, Amerika oder sonstwohin suchten, die, wie in ganz Österreich, auch in Wien hängengeblieben waren, durchströmten auf dem Weg von Irgendwo nach irgendwo, der aus Rumänien kommende Celan war einer von ihnen.

Es ist eine Ausstellung dichtester Atmosphäre. Wie sie auf die Mehrzahl ihrer Besucher wirken mag, vermag schwer zu beurteilen, wer dieses Wien erlebt hat. Diese Mischung größter Internationalität (die den Besatzungssoldaten zu verdanken war) mit einem kaum mehr vorstellbaren Ausmaß von Enge und Dumpfheit. Etliche der Dokumente sprechen für sich.

Was der Besucher vielleicht nur flüchtig wahrnimmt, was an den Wänden und in den Vitrinen auch nur teilweise vorkommt, das entströmt geballt dem bei Suhrkamp erschienene Begleitband, auf den man keinesfalls verzichten sollte. Hier werden nicht nur die tristen Überlebensbedingungen des Geistes in diesem Nachkriegswien wieder lebendig, sondern auch dessen Korrumpierungen und die kreuz und quer verlaufenden Fronten, die sehr viel mit der Korrumpierbarkeit der "geistig Schaffenden" (so hieß das damals) zu tun hatten.

Da hat auch manche mit den Verwundeten begrabene Wunde ihr gespenstisches Nachleben. Wird nachvollziehbar, warum es zwischen Paul Celan und Hans Weigel, der immerhin vier Gedichte Celans abgedruckt hatte, nicht nur aus Gründen privater Verwicklung (Ingeborg Bachmann) kaum zum Gespräch kommen konnte. Sie verkörperten auch sehr verschiedene Formen des Umganges mit der Vergangenheit und dem rigorosen, kompromisslosen Paul Celan war jede Verwaschenheit fremd und unerträglich.

Wien war damals ein Hort der Verwaschenheit und nicht nur wegen der miserablen Publikationssituation (auch Paris hat ihn ja nicht gerade verwöhnt) keine Stadt für Paul Celan. Wenn ihn Wien aber schon nicht für sich reklamieren kann, reklamiert es sich doch gerne in sein Leben hinein. Da gibt der Satz von den gescheiterten Bemühungen, Celan wenigstens für eine einzige Lesung nach Wien einzuladen, unter einem Foto von Wolfgang Kraus, schon zu denken.

Bis 24. Februar 2002

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