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Schwarzmaut
Bei dem Erscheinen des Gedichtbandes „Fadensonnen“ zu Beginn dieses Jahres gestand die Kritik ihr leichtes Erstaunen, daß Celan, der früher nur in Abständen von drei bis vier Jahren einen Band vorzulegen pflegte, diese Gedichte so bald auf die „Atemwende“ vom Winter 1967 folgen ließ. „Atemwende“ war allerdings bereits in den Jahren 1963 bis 1965 geschrieben worden, wohl als Bekräftigung jener Worte aus der Büchnerpreis-Rede 1960: „Atem, das heißt Richtung und Schicksal“, die seitdem zahlreiche Auslegungen erfahren haben. Neben den in herkömmlicher Form publizierten Bänden sind seit 1965 inagesamt fünf bibliophile Ausgaben jeweils unveröffentlichter Gedichte in Paris erschienen. Robert Altmann, dem Inhaber des Verlags der Editions Brunidor, ist diese Initiative zu verdanken. Celan-Verehrer wie Bibliophile kommen bei den. wertvollen, äußerst sorgfältig und liebevoll-gewissenhaft ausgeführten Luxusausgaben ganz auf ihre Kosten. Zu vier Bänden schuf Celans Gattin Gisele Celan-Lesfrange, Schwarzweißradierungen, die sie teilweise auf der eigenen Handpresse druckt. Die Künstlerin ist Friedländer-Schülerin und hat auf Ausstellungen in Paris, Wuppertal, Frankfurt, Hannover, Göteborg ihre eigenwillige Position innerhalb der zeitgenössischen Graphik behauptet. Von den zerbrechlich-prägnanten Strukturen geht eine ähnliche Melancholie wie von den sich oft nur schwer erschließenden Gedichten Paul Celans aus. Autor und Künstlerin erglänzen sich in diesen Bänden vorbildlich, beide wahren ihre Autonomie und verwirklichen gleichzeitig die geistige und optische Einheit, die Robert Altmann bei allen seinen Veröffentlichungen anstrebt. „Atemkristall“ (der erste in sich geschlossene Zyklus von „Atemwende“) wurde 1965 in einer Auflage von 85 Exemplaren vorgelegt. Zwei Jahre später folgten „Schlafbrocken“ (50 Exemplare) und die Brunidor-Mappe VI in 55 Exemplaren, die ein Gedicht und sechs Radierungen enthält. 1968 druckte Altmann das Gedicht „Todtnauberg“ in 50 Exemplaren. Die jüngste bibliophile Veröffentlichung trägt den Titel „Schwarzmaut“. Es handelt sich um 14 unveröffentlichte Gedichte, denen 15 Originalradierungen von Gisele Celan-Lestrange beigegeben sind.
Celans Vokabular, aus der Forderung Mallarmes gewachsen, das Wort für ein nicht existierendes Ding zu erzeugen und die Applikationsweise dieses Vokabulars — „Worte, die neben Worten einher-
gehen“ — venfremden in „Schwarzmaut“ wie in den früheren Gedichten bewußt den Gedankengang des Autors. Schwarz (die Farbe des Todes in der bereits klassisch anmutenden „Todesfuge“) scheint hier das Illegale, das Gesetzwidrige zu symbolisieren. Schwarz, gekoppelt mit dem mittelalterlichen bayrischösterreichischen „Maut“ (Straßenzoll, Weggeld) bedeutete demnach ein heimliches Zueinandergelangen, wie es in dem folgenden Gedicht angestrebt wird:
Wir lagen schon tief in der Macchia,
als du endlich herankrochst. Doch konnten wir nicht hinüberdunkeln zu dir: es herrschte Lichtzwang.
Gedichte wie das lyrisch beginnende
„Muschelhaufen“:
„Mit der Geröllkeule fuhr ich
dazwischen, den Flüssen folgend in die abschmelzende Eisheimat...“ verweisen auf die Erdgeschichte, andere auf den Kosmos: „Tretminen auf deinen linken Monden, Saturn ..
Celan scheint daran gelegen zu sein, klarzustellen, daß er sich unserem wissenschaftlichen Zeitalter nicht verschließt, daß er ihm gegenüber keineswegs zum Verstummen bereit ist. Seine jüngsten Gedichte lassen sich daher eher als eine Interpretation der Gegenwart deuten, der sprachlich die Metaphernverkürzung, die Verknüpfung des Unikongruen-ten, des sich nicht Ergänzenden entspricht. Tägliche Wahrnehmungen sind oft der Ausgangspunkt. Sie assoziiert Celan mit der nach wie vor präsenten Vergangenheit, nicht, um sie zu beschweren, sondern um ihnen vielmehr ein Fundament zu geben. Vielleicht sollte man in Zukunft weniger automatisch an jenen düsteren Themenkreis der früheren Gedichte denken und Celan auf ihn festlegen. Die neuen Gedichte sind in mancher Hinsicht lebensvoller und lebenskräftiger, gegeniwarts- ja selbst zukunftsnäher in Ton und Aussage. Diese — wenn auch unter Zwang erfolgte — Hinwendung zum Uberwinden, zum Weiterleben spricht das Anfangsgedicht in „Schwarzmaut“ aus:
Hörreste, Sehreste im
Schlafsaal eintmisendundeins,
tagnächtlich
die Bären-Polka:
sie schulen dich um,
du wirst wieder
er.
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