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Am 23. November wäre Paul Celan 85 Jahre alt geworden. Briefe und Prosafragmente schaffen neue Zugänge zu seinem Werk und seinem Leben.

Paul Celan war nicht der Meinung, dass die Veröffentlichung von Briefen eine Indiskretion wäre. Diesbezügliche Zweifel des Freundes Franz Wurm anlässlich der Herausgabe von Briefen Kafkas an Felice Bauer zerstreute er mit der Bemerkung: "Die Indiskretionen kommen erst, wenn die Leute darüber schreiben" - und ihre Vermutungen und Interpretationen anstellen, möchte man ergänzen. Inzwischen liegen von Paul Celan bereits zehn Bände mit privaten und literarischen Korrespondenzen vor, am berührendsten der umfangreiche Briefwechsel mit seiner Frau Gisèle Celan-Lestrange. Zuletzt ist - gleichzeitig mit der Edition der Prosa aus dem Nachlass - der Briefwechsel mit dem Literaturwissenschafter Peter Szondi erschienen.

Diskrete Sorgfalt

Auffallend an den Celan-Publikationen der letzten Jahre ist die zunehmende Genauigkeit der Kommentare und die diskrete Sorgfalt bei der Erhebung von Celans Lebensumständen. Mit den Veröffentlichungen wächst ja auch die Preisgabe des Wissens gerade um das schwierige letzte Lebensjahrzehnt Paul Celans. Als vor einem Vierteljahrhundert, immerhin fünfzehn Jahre nach Celans Tod, Israel Chalfens liebevolle Biografie seiner Czernowitzer Jugend erschien, hieß es in Rezensionen noch lapidar, über Paul Celans Leben nach 1950 wäre wenig bekannt. Heute liegt eine nahezu unüberschaubare Fülle von editorischen, biografischen, philologischen und philosophisch-theologischen Veröffentlichungen vor. Wenngleich auch "unendlich viel geschrieben wurde, was von ihm wegführt und den Sinn verdreht" (Jean Bollack), ist kaum ein dichterisches Gesamtwerk des 20. Jahrhunderts so umfassend ediert und so sachkundig kommentiert wie das Paul Celans.

Je weiter von seiner Lebenszeit entfernt, umso schonungsloser apern die Symptome der Folgen tiefster Verletzungen ans Licht, ausgelöst durch den infamen Plagiatsvorwurf von Claire Goll, er, Celan, habe ihren Mann Yvan Goll literarisch bestohlen. Die daran anschließende und teilweise genüsslich geführte Debatte im Deutschland der frühen sechziger Jahre, flankiert von einem bösartig-versteckten Antisemitismus, hat Celans Existenz als Dichter und als Jude im Innersten erschüttert und in Frage gestellt. Celan selbst hat sie in einer Linie mit den Verfolgungen der Juden durch die Nazis gesehen. Es wird heute nicht mehr in Zweifel gezogen, dass Celans schwere seelische Erkrankung und schließlich sein Freitod am 20. April 1970 Folgen dieses Rufmords waren.

Durch beide Neuerscheinungen, die Korrespondenz mit Peter Szondi und die Prosa aus dem Nachlass, zieht die "Goll-Affäre" eine Spur des Schmerzes, der Verhärtung, der Verbitterung, des Identitäts- und Zugehörigkeitsverlustes: "... ich herkunftsloser Steppenwolf mit weithin erkennbaren jüdischen Zügen ..." Freundschaften werden hart auf die Probe gestellt und viele davon zerbrechen, verlangte doch Celan bedingungslose Loyalität, selbstlose und kämpferische Parteinahme für ihn. Freunden vermittelte er das Gefühl, dass das, was sie zu seiner Verteidigung taten, immer zu wenig war ("Die Freunde, die, während die Feinde einem die Gurgel zusammenpressen, einem nicht genug an die Hand gehen können ...").

So sind die Aphorismen - ein markanter Abschnitt der Prosa aus dem Nachlass - durchwegs Momentaufnahmen von Celans Stimmungen. Notwehrhaft, ungerecht und polemisch setzen diese Textfragmente des laut Selbstbeschreibung "jüdischen Kämpfers" gegen eine als bedrohlich empfundene Wirklichkeit frei, was im Inneren gärt. "Was in der Lunge, das auf der Zunge", pflegte Paul Celans Mutter zu sagen, was bei ihm auch für das Gedicht gilt: "Auf Atemwegen kommt es, das Gedicht, pneumatisch ist es da ... für jeden", heißt es in einer Notiz zur Zeit der Vorbereitung seiner berühmten Büchnerpreis-Rede.

Wie gründlich Barbara Wiedemann und Bertrand Badiou bei der Kommentierung der nachgelassenen Prosa zu Werk gegangen sind, mag daran erkennbar sein, dass nur etwas mehr als ein Fünftel des fast tausend Seiten umfassenden Buches Primärtexte sind und der "Rest" Kommentar ist. Wer allerdings die Entdeckung des Prosaschriftstellers Celan - etwa vom Rang seines großen Textes "Gespräch im Gebirg" - erwartet, wird enttäuscht, "Mikrolithen sinds, Steinchen". Diese Entwürfe und Fragmente von Erzählungen, diese Ansätze und Skizzen für dramatische Arbeiten lassen mit ihrem endlichen Scheitern an der erzählenden Form das gültige Werk seiner Lyrik nur umso schärfer und schmerzhafter funkeln.

Lichter gegen das Gelichter

Die streitbare Prägnanz des Aphorismus hingegen war für Celan, den Verehrer Georg Christoph Lichtenbergs, sehr geeignet, "Gegenlichter" zu setzen, kleine Pamphlete "gegen das Gelichter" der Lügner und falschen Freunde. So entlarvt er auch den Philosemitismus als "Umstülpung des Klischees. Statt des Verzerrten das Geschönte; statt des Krummnasigen die Mandeläugige."

Auch in den von Christoph König herausgegebenen Briefen an Peter Szondi, den neun Jahre jüngeren Freund und brillanten Literaturwissenschafter, begegnet dem Leser ein mitunter sehr aggressiver Celan, wenn er etwa gegen einfältig philosemitisch motivierte Deutungen seiner Texte heftig zu Felde zieht.

Diese grob vereinnahmenden Interpreten glauben offenbar, so Celan, "dass die Klaue die Hand ersetzen kann". Aber Dichtung ist für Celan "Sache der Hände", wie er es für eine Umfrage einmal formulierte: "Ich sehe keinen Unterschied zwischen Händedruck und Gedicht."

Da die Korrespondenz von 1959 bis 1970 bestand, handelt ein großer Teil von der Plagiatsaffäre, in der sich Peter Szondi ja als fundierter Verteidiger Celans exponiert hatte. Im Hintergrund des Briefwechsels und in den beigegebenen Briefauszügen von Gisèle Celan-Lestrange und des befreundeten Philologen Jean Bollack, ist aber immer stärker Celans schwere Erkrankung zu spüren. Szondi war wie Celan nur knapp der Shoa entronnenen: "Wir alle sind Überlebende und jeder von uns versucht auf seine Weise mit dieser Schmach fertig zu werden ..."

Das Tragische an dieser Freundschaft: Peter Szondi ist im Jahr nach Celans Freitod auf bestürzend ähnliche Weise in Berlin seiner Depression erlegen.

Bodenlose Tiefe

Die Frage ist: Was muss man als interessierter Leser wissen, um Celans Gedichte, vor allem jene der letzten Jahre, verstehen zu können. Werden sie durch Zuvielwissen abgewertet zu pathologischen Chiffren oder gewinnen sie dadurch erst jene schier bodenlose Tiefe, die gleichzeitig erschreckt und fasziniert? Celan hat zeitlebens seine Gedichte zu einem "Du" hingeschrieben. Als "Ich" möchte er verstanden und nicht aus der Befindlichkeit des Lesers oder seiner angemaßten Literaturkennerschaft heraus interpretiert werden. Bitter der Aphorismus über einen Literaturbetrieb, wie ihn Celan selbst zu spüren bekam: "Diese unsere feuilletonistische Zeit des Gedichts: das Hinwegblättern über den Menschen. Indem sie dir ihr Leben zuschreiben, schreiben sie dir dein Leben tot."

Mikrolithen sinds, Steinchen

Die Prosa aus dem Nachlass

Von Paul Celan

Hg. und kommentiert von Barbara Wiedemann und Bertrand Badiou

Suhrkamp Verlag, Frankfurt 2005

948 Seiten, geb., e 35,-

Paul Celan - Peter Szondi

Briefwechsel

Hg. von Christoph König

Suhrkamp Verlag, Frankfurt 2005

263 Seiten, geb., e 20,40

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