Konkurrenten, dem Lauschen verfallen

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Die Hamlet-Inszenierung des niederländischen Regisseurs Theu Boermans ist in der Gegenwart angekommen: Sie zeigt sich transparent, hellhörig und über weite Strecken völlig unbefangen.

Die rätselhaftesten Theaterfiguren hat Shakespeare hinterlassen, von denen der amerikanische Literaturwissenschafter Harold Blum sagt, dass sie die ersten modernen Menschen seien. Die theatralischen Stoffe und Figuren erlangten unter seiner Hand eine Qualität der Allgemeingültigkeit: Sie verloren ihre örtliche und zeitliche Beschränkung. Waren Theaterfiguren ursprünglich in ihrem Denken und Handeln auf Gott bezogen, vor dem sie sich bewähren mussten oder vor dem sie versagten, so änderte sich dies bei Shakespeare: Seine Figuren, die nun die Bühne betraten, maßen sich untereinander und begannen ihren ureigenen Lebenssinn zu suchen. Sie wandelten sich andauernd, sagt Bloom, da sie sich selbst belauschten und dadurch neu begriffen: #Selbstbelauschung ist ihr Königsweg zur Individuation.#

Auch in Graz verfällt Hamlet dem großen Lauschen. Stumm hockt er, den Rücken zum Publikum gekehrt, wie ein schwarzer Rabe auf einem Rednerpult und trotzt horchend der bunten, verquatschten Society, die sich hinter den hohen weißen Gardinen lachend und ihre Macht abfeiernd gruppiert.

Mieses Prinzip der hohen Politik

Bei Shakespeare fragt zu Beginn einer der Soldaten, die Nachtwache halten: #Who#s there?#, was August Wilhelm Schlegel Anfang des 19. Jahrhunderts in die knappe Befehlssprache deutscher Militärs übersetzte: #Halt! Wer da?# In Graz, wo der Autor, Film-, TV- und Theaterregisseur Theu Boermans und sein Dramaturg Andreas Karlaganis mit der frechen Übersetzung von Marius von Mayenburg werkten, startet der Abend mit einem Security Check. Stattliche Herren in dunklem Zwirn vergewissern sich über Funk, dass alle Zugangstüren zum Theaterraum abgesichert und versperrt sind. Wer da ist, muss unter sich bleiben können, denn erst dann kann das miese Prinzip, nach dem hohe Politik funktioniert, sichtbar werden.

Nicht Geilheit, Machtgier und Meuchelmord, sondern hoch professionell organisierte Staatsaktionen, von feiner Hand geplante Intrigen und Attentate treiben das Rachespiel voran. Boermans bringt das Stück immer wieder auf den Ausgangspunkt herunter, allerdings sehr konsequent verkleinert, individualisiert, privatisiert. So ist auch #Dänemark# in dieser Aufführung kein fernes Mittelalter, sondern bürgerliche Gegenwart. Der Bühnenraum ist eine lichte, hohe weiße Halle (Bühne: Bernhard Hammer), an dem sich nach drei Stunden ein gewaltiger Wäscheberg auftürmen wird. Denn immer wieder prasseln unzählige Kleidungsstücke und Tülltücher herab. Schwarze Hosen segeln wie Vögel nach unten, weiße Babybodys lagern sich wie Reif auf der Bühne ab, während rote Röcke die Luft bluten lassen.

Der junge Claudius Körber, das wird von Anfang an klar, ist kein grüblerischer, weichlicher, zaudernder Hamlet, kein Melancholiker. Er ist ein ein kühler, mitunter fanatischer Draufgänger, vital, sarkastisch, hellwach und unberechenbar, weitab vom selbstquälerischen Profil vieler seiner Vorläufer. Er strotzt vor kalter Wut, vor Selbstbewusstsein, ein Verweigerer, nicht ohne Penetranz, während alle anderen eine mafiose Eleganz und aufgekratzte Stimmung zur Schau tragen.

Stefan Suske als König Claudius gibt einen souveränen Manager der Macht, einen kalten Teufel in der Euphemismus-Tretmühle, während Birgit Stöger als seine Frau und Hamlets Mutter von der Überanpassung einer Politikone im Hepburn-Stil in den Wahnsinn der Selbstzerfleischung fallen darf. Ophelias (Claire Vivianne Sobottke) Irrsinn dagegen hat einen exzentrischen Touch, den man bereits fürchtet, als sie noch verliebt um Prinz Hamlet tänzelt.

Milchgesichter in Tarnanzügen

In einer schönen Charakterrolle ist Franz Xaver Zach als Höfling Polonius zu sehen: immer etwas unpassend, aber immer mit von der Partie. Mit Leon Ullrich als Hamlets unaufgeregtem Freund ist einer da, mit dem man sich vorstellen könnte # später, nachdem alle hingestreckt am Boden liegen # #über alles hier# zu reden. Auch über die Überflüssigkeit der kämpfenden Milchgesichter in Tarnanzügen beim Schlussauftritt, die Boermans Dänemark lautstark säubern und mit der Selbstbelauschung völlig aufräumen. Aber Letzteres ist beinah die einzige Irritation in einer ansonsten sehr souveränen und ausbalancierten Inszenierung.

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