Stachelig, spröd, radikal

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"Wie man einen Roman macht" von Miguel de Unamuno zum ersten Mal auf Deutsch.

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"Wie man einen Roman macht" von Miguel de Unamuno zum ersten Mal auf Deutsch.

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Der spanische Philosoph, Dichter und Romancier Miguel de Unamuno (1864 - 1936) zog sich 1924 den Zorn der politischen Machthaber seiner Heimat zu. Er hatte öffentlich ihre Dummheit bloßgestellt. Die Strafe folgte umgehend: Verbannung auf die Kanareninsel Fuerteventura.

Die baldige Begnadigung nahm er nicht an, sondern ging ins frei gewählte Pariser Exil. Dort schrieb er im Winter 1924/25 in tiefer Einsamkeit ein Buch, das jetzt zum erstenmal von einer österreichischen Übersetzerin ins Deutsche übertragen und von einem österreichischen Verlag herausgebracht wurde: "Wie man einen Roman macht". Die Entstehungsgeschichte des Werks ist selbst schon ein skurriler Roman. Unamuno sah keine Chance, sein Manuskript auf Spanisch erscheinen zu lassen, zu heftig waren seine Attacken gegen die spanischen Kleingeister an der Spitze des Staates. Ein französischer Freund übersetzte das Buch, es erschien 1926 in französischer Sprache. Dann bot sich dem Autor die Möglichkeit, sein spanisches Original in Argentinien zu veröffentlichen.

Aber der Freund hatte ihm das Manuskript nicht zurückgegeben. Unamuno war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr in Paris, sondern hatte sich an der französich-spanischen Grenze niedergelassen. Sehr zum Ärger der spanischen Behörden, die sogar Frankreichs Innenminister bemühten, er möge den Störenfried von der Grenze wegbringen lassen. Kurz, Unamuno übersetzte sein Buch aus dem Französischen ins Spanische zurück, kommentierte dabei sich selbst und fügte tagebuchartige Eintragungen hinzu. Das Ergebnis ist ein einzigartiges Kompendium von Gedanken zur Frage: Wie macht man einen Roman? Machen, nicht schreiben. Darin liegt ein wichtiger Unterschied. Um diesen verständlich zu machen, lässt Unamuno den Leser unmittelbar am schöpferischen Prozess teilhaben. Er beschreibt, was für einen Roman er im Kopf hat. Sein Held ist ein großer Leser. Eines Tages findet er auf einem Pariser Flohmarkt ein Buch, in dem er auf folgenden Satz stößt: "Wenn der Leser ans Ende dieser schmerzhaften Geschichte gelangt, wird er mit mir sterben." Absurd.

Aber die Hauptgestalt des erst zu schreibenden Romans merkt, wie tief die Drohung in sie eingedrungen ist. Wie dieser Mensch zwischen brennender Neugier und Angst pendelt und wie die Geschichte ausgehen könnte, ist für Unamuno der Aufhänger dafür, Gedanken über Wirklichkeit und Erfindung, Religion und Politik darzulegen, die seine Originalität als Denker offenbaren. Ein Gedanke bewegt wohl jeden Schreibenden und Lesenden: Kann ein Kunstwerk Erfindung sein oder muss etwas erst erlebt, erlitten werden, damit es den Klang des Lebendigen hat? Anders gefragt: Ist jeder Roman autobiographisch?

Unamunos Antwort ist eindeutig: Damit der Leser das Zucken der Eingeweide des lebendigen Organismus des Romans fühlt, muss der Autor sich selbst einbringen. Was für ein Anspruch! Unamuno geht noch weiter, indem er behauptet: "Wenn einer einen Roman liest, wird er zum Romancier, wenn er Geschichte liest, zum Geschichtsschreiber. Jeder Leser, der ein innerer, menschlicher Mensch ist, ist zugleich Autor dessen, was er liest." Damit wird das Lesen zur Kunst erhoben. Hat er Recht? Lesen wir heute noch mit jener Anteilnahme, die das Kind zum Weinen bringt, wenn im Märchen die Bösen die Guten bedrohen?

Und haben wir heute Autoren, denen es mit dem Erzählen so ernst ist, dass sie wissen: Erzählen ist leben? "Alle Stunden verletzen und die letzte tötet", sagt ein lateinisches Sprichwort. Jede Stunde unseres Lebens nimmt uns nicht nur Leben weg, sondern verletzt im wahren Sinn des Wortes unsere Sensibilität, macht uns kälter, unempfindlicher, stumpfer, so dass das Leben für viele zum immer dünneren Rinnsal wird. Wir machen nichts mehr, wir werden gemacht. Und deshalb besteht Unamuno darauf, dass der Dichter Romane "machen", nicht erzählen muss. Und der Leser müsse sich ebenso seinen eigenen Roman machen: "Jeder Mensch, der wirklich Mensch ist, ist Kind einer Legende, sei sie geschrieben oder mündlich. Und es gibt nur die Legende, das heißt den Roman." Unamuno ist stachelig. Spröd. Radikal. Ihm auf 130 Seiten - so kurz ist das eben erschienene Buch - zu folgen, bedeutet, eine andere Geistesluft zu atmen als im Alltag.

Letzte Fragen von Leben und Kunst, von Leben und Tod finden hier ihren Weg in die Sprache. Es ist der Grazer Romanistin Erna Pfeiffer und dem Droschl Verlag zu danken, dass auch der des Spanischen Unkundige jetzt teilhaben kann an diesem Abenteuer des Geistes.

Wie man einen Roman macht Von Miguel de Unamuno, Aus dem Spanischen von Erna Pfeiffer, Literaturverlag Droschl, Graz 2000, 136 Seiten, brosch., öS 150,-/ e 19,11

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